Alles eine Frage der Definition

Ich habe sie alle gesehen: ob “charmant”, “attraktiv”, “elegant”, “bildschön”, “schick”, “reizvoll”, “life-stylish”, “kompromisslos erstklassig”, “zeitlos-modern”, “sensationell” oder “superschön”. Hätte diese Bezeichnungen jedoch nur in einigen sehr wenigen Einzelfällen selbst verwendet. Bei “ungewöhnlich”, “individuell”, “ausgefallen”, “charaktervoll”, “extravagant” und “spektakulär” bin ich zu dem Schluß gekommen, daß deren Auslegung in den Vermieterbeschreibungen ähnlich aussagekräftig ist wie die des Begriffes “strandnah” in einem Reiseprospekt, denn die Wohnungen waren entweder verdreckt und/oder heruntergekommen, schief, krumm und ähbäh oder so dermaßen schlecht geschnitten, daß der Architekt mit Sicherheit schwer von Mieterfluchfurunkeln geplagt in einer Gosse sein elendes Dasein fristet.

Warum ich davon lang und breit erzähle? Weil heute so ein richtiger Griff-ins-Klo-Tag war. Die “zentralgelegene Altbauwohnung im Trendviertel” lag in einem düsteren Rückgebäude mit Ambitionen zum Zille-Motiv im Westend. Die 25 Aspiranten und -innen nahmen im schattigen Hinterhof schon eine Viertelstunde vor der vereinbarten Besichtigungszeit an- und voneinander Maß (“was hat der wohnungsgeeigneteres, das ich nicht habe?”) und wurden kaum 10 Minuten zu spät von der für Samstagfrüh viel zu aufgeräumten Maklerin in das “entzückende Objekt” getrieben. Das Objekt stank. Ich habe genug Krimis gelesen, um den Geruch als “Rentnerin-lag-tot-wochenlang-unentdeckt-in-ihrer-Wohnung” zu identifizieren. Es stank. Die Wohnung dürfte seit dem Einzug besagter Dame nicht mehr renoviert worden sein, im Quietschparkett waren tiefe Abdrücke von viel zu schweren Möbeln und es roch, als sei der Leichenwagen erst vorgestern dazugekommen, die Vormieterin abzuholen und die Entrümpelungsfirma erst gestern, um ihren irdischen Besitz wegzuschaffen. Gelüftet hatte noch keiner.

Ein besonders mutiger Kandidat wagte sich vor und stellte die allen ins Gesicht geschriebene Frage nach vermieterseitigen Renovierungen (neues Bad!, neue Küche!, neuer Anstrich! und vor allem neuer Geruch!) – huiiijuii! Nein, nicht doch, zwitscherte Blondie (ich frage mich, in welcher Klonwerkstatt diese High-Heel-Falsch-Blond-Kurzrock-Kiloweise-Makeup-Klischee-Maklerinnen hergestellt werden), das mache man doch heutzutage nicht mehr. Jeder Neueinziehende solle sich da ganz nach seinen Wünschen ganz individuell verwirklichen (und seinen Vermieter gefälligst nicht mit der unverschämten Forderung nach einer bezugsfertigen Wohnung belästigen). Da sieht man’s mal, hat sich die teuere Maklerausbildung doch gelohnt.

Jetzt benötige sie für den Auswahlprozeß bittschön vollständig ausgefüllte Selbstauskunftsbogen mit Details zu Vorleben, Beziehungsstatus, Haustieren, Musikinstrument, Einkommen und  Gesundheitszustand, Kopie von Ausweispapieren und die Einwilligung zur vorerst einmaligen Bankauskunft. Und wie in der Medikamentenreklame hetzt sie sich beim Einsammeln der Unterlagen (die viele bereits in ordentlichen Bewerbungsmappen mitgebracht haben) durch die bis dato noch unveröffentlichten Details zum Mietverhältnis: Staffelmiete mit einer jährlichen Steigerung um 5%, 3 Monatsmieten Kaution, eine zusätzliche Bankbürgschaft in der gleichen Höhe sowie die Überschreibung des Erstgeborenen in lebenslängliche Sklaverei.

Weißt du, was du mich kannst, Blondie? Von mir gibts kein Papier, ich schau nachher noch eine andere Wohnung an und schlechter als deine Stinkebude kann die nicht sein.

Ich habe nicht immer recht.

Das 2. Besichtigungsobjekt des Tages, eine “Dachterrassen-Wohnung in gehobenem Wohnviertel” liegt direkt über einem Getränkemarkt (das kann ein Standortvorteil sein, muß aber nicht) und man betritt sie durchs Badezimmer. Richtig gelesen. Haustür auf, dann links Badewanne, geradeaus durch das Waschbecken, daneben rechts die Tür zum Flur. Davon geht links ein Schlafzimmer ab und hinter einer Art Sperrholzverschlag rechts gegenüber stehen ein Herd und eine Spüle (= Küche), davon durch eine dünne Wand getrennt, die fensterlose Toilette. Das Wohnzimmer ist riesig, davor liegt die Dachterasse (direkt über der Anliefereinfahrt des Getränkemarkts). Wäre ich dem Vormieter, einem steroidaufgepumpten Bodybuilder ähnlicher, dann fände ich die Wohnung bestimmt ebenso super; er ist nämlich a) beruflich eh viel auf Reisen und b) besteht seine Nahrungsmittelzubereitung im wesentlichen aus dem Anrühren von Fitneßshakes. Aber für mich als bekennenden Gernbadseparathaber, Gernwohner und Gernkocher ist diese Bude nichts.

Morgen habe ich besichtigungsfrei. Montag gehts weiter.

(Ob ich mir diese Wohnung (s. screenshot unten) anschaue, muß ich mir aber noch gut überlegen.)

lustige Wohnung

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