Richard vs. Toni

Ich darf die Herren kurz vorstellen? Richard ist der britische Offizier in meinem Navi, Toni kennt sich aus.

Es war nämlich so: als ich zu Feierabend schnell einen Blick auf Google Maps werfe, ist der Highway 101 nicht etwa rot, sondern schon fast schwarz vor lauter rot. Weil sich wieder everybody and their brother zum Baseballspiel in die City drängeln und vor lauter Dabeisein-ist-alles alle paar Kurven einen Unfall bauen. “Overturned Vehicle”, “Car Fire”, “Serious Accident”* , nochmal “Car Fire” – und das ist erst die halbe Strecke. Voraussichtliche Fahrzeit, sagt Google, sei eine Stunde und zweiundfünfzig Minuten – das muß man ausschreiben, so lange ist das.

Keine Probleme hingegen seien auf dem 280 zu erwarten und 42 Minuten Fahrtzeit sitze ich doch auf einer Arschbacke ab. Also Richard sagen, daß er doch bitte die Alternativstrecke berechnen soll und los. Richard ist ein Offizier und kein Gentleman, sondern vielmehr manchmal etwas eigen und will, als wir aus dem Parkplatz ausfahren, nach rechts abbiegen. Ich bin die Strecke schon ein paar Mal mit Toni gefahren. Der hat mindestens ein, wahrscheinlich aber mehrere Pfadfindergene und fährt hier immer links. Ich auch. Richard wittert Meuterei und will mich unbedingt auf den 101 lotsen, auch wenn wir ich mir einbilde, daß wir uns doch schon beim Losfahren auf die Ausweichstrecke geeinigt hatten. Meinem Inneren Revoluzzer schwillt die Brust, weil er jetzt grad erst recht nicht tut, was man ihm sagt. Ha! Das Hirn ist da ganz seiner Meinung – es wäre doch noch schöner, wenn wir den Weg nicht alleine finden würden! Was den ODP auf den Plan ruft, der sich und alle anderen fragt, wann wir je imstande gewesen wären, uns nicht zu verirren und der kleine Innere Untertan will dem Mann folgen, der uns sagt, wo’s lang geht und der Feigling ist ganz auf seiner Seite. Den 101 kennen wir schließlich und womöglich gehen wir auf der verwinkelten Zufahrt zum 280 noch verloren und finden nie mehr heim und alles ganz schrecklich. Von den anderen unbemerkt, wendet sich die Blase mit einer Frage ans Hirn: “Weißt du noch, wieviel Wasser wir heute getrunken haben? Ich sag’ ja bloß… Zwei Stunden Stau sind ganz schön viel…” Das Hirn nimmt diese Warnung zur Kenntnis und während die Seelchen umeinanderstreiten, steuert es uns an den Landmarken lang und bricht in Triumphgeheul aus, als wir am Wegweiser, der auf Polizei, Stadtverwaltung und Bibliothek am Ende der Sackgasse verweist, wieder links abbiegen. Richard erkennt Subordination, wenn er sie sieht, und hüllt sich vorerst in vorwurfsvolles Schweigen, das er nur gelegentlich bricht, um mitten im Wohngebiet ständig nach rechts zu wollen. Das Team Blase/Hirn ignoriert ihn. Wir fahren erst da rechts, wo Toni auch immer rechts fährt und bejuchzen die nächste Landmarke. Das Weinfeld! Fast geschafft. Noch einmal links abbiegen, am Woodside Stadion lang und dann kommt die Auffahrt. Da ist Richard auf einmal auch wieder im Spiel und befiehlt, als hätte er nicht die ganze Zeit den 101 favorisiert, ganz souverän “take the highway”. Danke, du Depp! Dafür hätten wir dich auch nicht mehr gebraucht – knapp 200 Meter vor der Auffahrt ist nämlich ein Schild. Lesen, mein Bester, ist unsere leichteste Übung.

Der 280 ist eine wunderschöne “scenic route” und als Richard zum zweiten Mal anordnet, daß wir uns gefälligst links halten und nicht abfahren sollen, würge ich ihn ab und genieße andächtig schweigend ohne Radio und Richard das Wechselpiel zwischen blauem Himmel, rotem Sonnenunter- und fahlgelbem Vollmondaufgang, gelbverdorrten Auen, stahlgrauen Stauseen, dunklen Wäldern und puscheligweißen Nebelfähnchen und gondele über die Hügel und Täler des San Andreas Grabens gen Heimat. Auf der Höhe der Abfahrt nach Halfmoon Bay ist alles weg und die Welt geht in pechschwarzen Wetterwolken unter, zwei Meilen weiter ist alles wieder da.

Und weil ich nicht ewig auf dem 101 im Stau stehen mußte, bleibt mir noch genug Zeit, im schwindenden Restsonnenlicht dicke fette blaue Pflaumen zu ernten. Sowie wenigstens je eine Ameise pro Obst, die ich mir beim Schreiben so langsam von Haut und Haaren pflücke.

Richard, du bist ein Loser. Der Sieg geht nach Sachsen! Danke, Toni!

* Frage mich seitdem, wie ein unseriöser Unfall aussieht. Ist das, wenn zwei Clown-Mobile rückwärts ineinander knallen und dann 20 Mann mit Perücken, roten Nasen und Riesenschuhen aus Kleinstwägen entsteigen?

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