In Exile

Vor sechs Jahren, am Labor Day Weekend, bin ich am San Francisco International Airport gelandet, um vorerst hier zu bleiben. Damals hatte ich keine Ahnung, wie lange der Gig dauern würde, ich bin halt mal losgezogen in die Fremde, wg. Abenteuer und Bloß-Nix-Verpassen. Inzwischen weiß ich immer noch nicht, wie lange ich hierbleiben werde, habe an dem großen Schritt manchmal gezweifelt und manchmal nicht und an sonnigen warmen Wintertagen nie. In Summe: Edith Piaf.

So ein Jubiäum sowie ein zusätzlicher freier Tag für ein extralanges Wochenende sind der ideale Nährboden für Spintisierereien. Wie ist das, wenn man so lange fern der alten Heimat lebt, hat man dann zwei? Und wie nennt man das? Heimatten? Heimats? Heimätter? Gibt es einen guten Grund, warum der Duden keinen Plural für Heimat kennt und dem Merriam Webster der Begriff gleich gänzlich unbekannt ist und er stattdessen als Ersatzsuchbegriff das Heimlich Manöver vorschlägt? Meine Sorgen möchte ich haben.

Solchermaßen hin- und hergerissen, stelle ich mich tagtäglich aufs Neue der ganz großen Herausforderung kein dummer Ignorant zu sein und mich für Menschen und Politik und Kultur im Gastland zu interessieren, will aber dabei auf keinen Fall den Anschluß an Menschen und Politik und Kultur zu Hause verlieren. Das heißt, ich strebe schon sehr danach, weder zum Hier-ist-alles-besser-Neuland-Konvertiten noch zum Daheim-war-alles-besser-Nostalgiker zu werden und die Augen für das Gute und das Schlechte und das Dumme und das Gescheite in beiden Welten offenhalten. Ganz ehrlich, manchmal zerreißt’s mich dabei fast. Und dann ist da noch das Komische, Seltsame und Bizarre. Wobei ich nicht weiß, ob es an meinem auswärtigen Blickwinkel liegt, aber bei bizarr liegen die Amis ganz weit vorn. Pars pro toto eine Auswahl an Eindrücken von heute, innerhalb einer Zeitspanne von weniger als acht Minuten.

Am Straßenrand salutiert eine uniformierte Gurke*. Auf der Ladefläche des ältesten außerhalb Kubas noch fahrenden Pickups schaukelt ein blitzeblankeneuer schwarzlederner Zahnarztbehandlungssessel, umspielt von in milder Brise flatternden Kabelsträngen. In Vorgärten sind schwäbische Verhältnisse eingekehrt und reinliche Hausbesitzer kehren mit dicken Besen trockene Blätter von Rasen und Randstein**. Wer nicht kehrt, nimmt am Erweckungsgottesdienst im Garten gegenüber teil, heute begleitet von einer hawaiianischen Luau-Band. Wenn mans recht bedenkt, ist das nicht ganz unlogisch, zumindest sprachlich liegen Hula und Hallelujah nicht weit auseinander. Amen! In Deutschland ist ein solcher Streifzug durch Bizarro-World in acht Minuten vom Drugstore-Parkplatz bis zur Häuschen-Einfahrt nicht einmal ganz entfernt vorstellbar. Die Gurke hätte sofort die Gewerbeaufsicht am Hals wg. Verstoßes gegen alle möglichen Hygiene-, Arbeitsschutz- und Wettbewerbsregeln; der Pickup wäre schon vor sehr freundlich kalkulierten 20 Jahren nicht mehr durch den TÜV gekommen und hätte sich außerdem einen Riesenärger wegen ungesicherter Ladung eingehandelt und die empörten Anrufe der Anlieger wegen der un-glaub-li-chen Ruhestörung des Erweckungsvereins erspiele sich jede/r selbst. Einzig das Staubaufwirbelkehren wäre möglicherweise beschwerdefrei geblieben.

Was ist besser? Was schlechter? Ist eines besser? Ist das andere schlechter? Oder alles einfach nur anders? Ich glaube, ich halte es weiterhin ganz mit dem universalen Toleranzcredo meiner rheinischen Oma: “Jeder Jeck is anders jeck! Sollense doch alle machen, wat se wollen. So lang keiner keinem wehtut.”

 

* Der Fachbegriff hierfür lautet “Gurkensalut”, auch wenn die Autokorrektur anderer Meinung ist.

** Kehrwoche ist deswegen bemerkenswert, weil man hier in Zeiten vor der Dürre dergleichen mit Schlauch und viel Wasser erledigt hat. Ich hatte beim Einzug noch Schwierigkeiten, überhaupt einen ganz normalen Besen zu finden, inzwischen sind Verbreitung und Auswahl recht groß.

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