Neue TV-Serie: “Poker Face”

Ja heuerheuerho! Das ist mal exzellentes Fernsehen!

Gut, auf die Prämisse muss man sich einlassen wollen. Eine junge Frau, die immer und in jeder Situation erkennt, ob ihr Gegenüber lügt oder die Wahrheit sagt. Immer. In jeder Situation. Das prädestiniert sie natürlich für Poker und so verdient sie auch eine Weile lang ihren Lebensunterhalt am Spieltisch, bis ein mächtiger Casinoboß dazwischengrätscht und nun ist sie so eine Existenz, ob gescheitert oder nicht, hängt von der Perspektive ab, mit prekärem Job und Homesweethome ist ein elendiger Trailer. Trotz der äußeren Umstände hat sie einen starken moralischer Kompaß, sonst käme es ja nicht zu diesen Geschichten.

Für Fernsehen ist das saustark. Echt jetzt! Jede der vier Episoden, die ich bis jetzt gesehen habe, hätte auch als Spielfilm umgesetzt werden können. Die Macher schöpfen geradezu verschwenderisch aus einem wohlgefüllten Born von gelungener Atmosphäre, irren Kameraeinstellungen, dem erschreckenden Charme von Nowhere, America, einer sagenhaft gelungenen Musikauswahl und einer wahnsinnig guten Besetzung bis in die kleinsten Nebenrollen. Die Hauptdarstellerin, Natasha Lyonne, ist nicht besonders groß und hat keine Modelmaße, dafür aber eine jener heiseren Stimme, die man eher von fünfjährigen Buben kennt und ist ganz und gar ideal besetzt und ungeheuer mitreißend. Man kann sie nach ein paar Nächten im Auto in irgendeiner gottverlassenen Gegend sonstwo förmlich riechen.

Das Muster ist immer dasselbe. Die in sich abgeschlossenen Episoden beginnen im hier und jetzt mit Mord und Mörder und allem. (Wer “Columbo” denkt, hat nicht ganz unrecht.) Dann sehen wir in einer Rückblende, wie die Heldin Charlie da reinpaßt und schauen ihr in der nächsten Dreiviertelstunde dabei zu, wie sie den Mord aufklärt, den Schurken seiner verdienten Strafe zuführt und in ihrem hellblauen Plymouth in den Sonnenuntergang reitet. Ein Road Movie isses nämlich inzwischen auch noch, weil, ihre alte Nemesis, der Casinoboss, ist ihr auf den Fersen.

Dieses Genre heißt, wie ich heute gelernt habe, “Howcatchem” – im Gegensatz zu “Whodunit”, wo der Zuschauer mit dem Ermittler lernt, wer’s war.

Wer “Fargo” mag, ist hier gut aufgehoben.

Gelesen: Harry Rowohlt – „Der Kampf geht weiter! Nicht weggeschmissene Briefe“ (Band 1)

Wenn das Hirn auf Halbmast steht, hat man seine Krankheitslektüre gern in kleinen Häppchen. Wer unter einem guten Stern steht, so wie ich in den letzten Schüttelfrostundschweißausbrüchetagen, bekommt Häppchen wie Rowohlts Briefe. Mit Herz und Hirn und Sprachwitz sowie -wissen von einem geschrieben, dem Schreiben Freude macht und der mit dem Geschriebenen Freude bereiten will. (Meistens. Wenn nicht, merken die Betroffenen das deutlich. Sehr deutlich.)

Falls das mit dem Zeitreisen zu meinen Lebzeiten noch was wird, dann wäre ich gerne in der ersten Gruppe und hätte einen dieser Briefe bekommen, den ich mir an dunklen Tagen hervorkramte und mich davon trösten ließe.

So bleibt mir nur die Vorfreude auf die anderen beiden Bände.

Gelesen: Mick Herron – „Spook Street“

Man hat mir auf dem Hunsrück ungefragt eine Erkältung aufgedrängt, deren Anfänge sich, mit reichlich Niesanfällen, bei der Rückfahrt im Zug manifestierten. Eine der letzten in dieser Pandemie mit Maskenpflicht. In meinem Fall insgesamt drei durchgerotzte FFP2-Modelle.

Seitdem kuriere ich aus. Deswegen habe ich für eine dieser an sich leicht lesbaren unterhaltsamen Spionagegeschichten nun auch fast eine Woche gebraucht, kann sie aber bei Bedarf an leichter Lektüre sehr weiterempfehlen. Mit nicht verstopftem Hirn und Nase und Hals gehts schneller.

Generation Golf

Meine Autos waren mir immer wurscht und daher meistens aus zweiter, dritter, vierter Hand, bei irgendwem übrig, fahrtauglich und billig zu haben. Reicht ja auch.

Dieses Mal war mir Rentacaria, die Göttin des Autoverleihs, wohl sehr gnädig gesonnen, denn, obwohl ich wie immer allerkleinste und günstigste Kategorie bestellt habe, ist mir ein fast neuer Golf zugeteilt worden. Huiuiui! Dass es mehrstufig verstellbare Sitzheizungen gibt, hatte ich auch schon erlebt (als Beifahrerin, versteht sich, nie in einer meiner Karren), aber Lenkradheizug… Das hat echt was für sich.

Am allerschönsten jedoch war die Standheizung. Nachdem ich der Fahrzeugelektronik entlockt hatte, wie diese einzustellen sei, blickte ich morgens ganz entspannt auf schon wieder viel zu viele Zentimeter Neuschnee. Bis ich nämlich unten am Wagen war, war der schon in schweren nassen Platten abgefallen – noch ein, zwei Mal Scheibenwischer wischen lassen und dann Abfahrt mit freier Sicht. Nicht mit nassen Eisfüßen und abgefrorenen Fingern einsteigen und dann Kaltgebläse anmachen müssen, das hatte wirklich Charme.

Da schau. Hat je vielleicht doch einen Grund, warum manche Menschen tagelang über Sonderausstattungen brüten können.

Unterwegs

Im Leihwagen ist am Dienstag bei der Abfahrt noch “Schwarzwaldradio” eingestellt und am späten Vormittag gerade Wunschkonzertzeit. Eine anrufende Dame, glücksverklärt, dass sie “endlich heute auch mal drankommt”, wünscht sich “das Lied von den Simpelmanns über Vergeßlichkeit”.

Ich hätte ja einen Moment gebraucht, aber der Moderator ist offensichtlich abgehärtet und Entschlüsslungsprofi und deswegen schallt auch gleich “Du-u Duum, hey, hey, hey, hey” aus den Lautsprechern und ich auf einen anderen Sender um.

Danke, Randy

… was du in einem Anlauf schaffst, schafft der Typ nicht in fünfzehn. Armes Amerika. Aber zum Glück haben sie dorten einen wie dich.

Und ihr hättet das Video auch schon viel früher gesehen, wenn dieses Drecksaushilfshotel im Hunsrück wenigstens eine Art Billigstinternet für seine Gäste hinbekommen hätte. Wäre die Frau Wirtin nicht so ein guter Mensch, hätte ich fast vermutet, dass sie mich nur deswegen in ganz seltenen Ausnahmefällen nicht aufnimmt (ganzes Haus für zwei Wochen für eine Firmenschulung ausgebucht), damit ich auch nie vergesse, was ich an ihr habe.

Ich muss ihr bei Gelegenheit erzählen, dass ich mir als Mitbringsel aus der zugigen Schreckenskammer in der billigen Ersatzbruchbude neben massivem Schlafmangel auch noch eine ausgewachsene Erkältung mitgebracht habe. Dann findet sie das nächste Mal vielleicht doch noch ein Kammerl für mich. Zefix!

Aber jetzt: Randy.

Gelesen: Margaret Atwood – “The Penelopiad”

Geplant hatte ich diesen Lektüreausflug in die griechische Mythologie nicht, aber manchmal ergibt es sich einfach, und dann wird das schon seine Richtigkeit haben.

Atwoods Abrechnung / Interpretation / Neufassung der Odyssee stand schon zu Weihnachten auf meiner Leseliste, aber dann waren der Ablenkungen zu viele und die Ferien zu kurz und deshalb bin ich erst dieses Wochenende dazugekommen, das eher schmale Bändchen wegzuatmen. Allem voran: wie immer atwoodgroßartig! Nobelpreis, yadda, yadda. Irgendwann muss dieses Komitee doch vor meinen andauernden Anrufungen kapitulieren? Dann: wie immer, klarste Sprache, virtuous eingesetzt, flamboyanter Feminismus, Wärme für und Anteilnahme an den Protagonistinnen und Protagonisten – es ist die helle Freude, wie Atwood in die Psyche ihrer Ich-Erzählerin Penelope blicken läßt.

Wir begleiten eine Fünfzehnjährige in ihre arrangierte Ehe und an den fremden Hof in Ithaka, der für sie keine Rolle vorsieht, außer Söhne zu gebären. Dann aber ist der Hausherr im Krieg und nach Kriegsende auf Irrfahrt und sie hält den Laden zusammen und die wie die Geier einfallenden Freier auf Abstand. Mit List und Tücke und unter Einsatz ihres Dutzends selbst herangezogener junge Mägde, die sie prostituiert und als Spioninnen und Agentes provocatrices* einsetzt, kämpft sie um den Erhalt ihrer bzw. des Odysseus Güter und ihrer Tugend, während sie gleichzeitig den inzwischen zum Jungmann gereiften (?) widerspenstigen Besserwissersohn Telemachus sowie höfische Intrigen im Zaum hält. Alles nicht leicht. Aber sie schafft das. Zu welchem Preis? Odysseus kehrt heim, meuchelt die Freier nieder, hängt die Mägde auf (alle zwölf) und ist so lange wieder Chef im Hause, bis ihm fad wird und er zu neuen Abenteuern aufbricht.

Jetzt, wo sie alle tot und in der Unterwelt sind, sucht Penelope nach Antworten. Eine der grausamsten: Die Mägde sind selbst schuld. Warum? Hätte der gastgebende Hausherr sie dem Besuch, wie Mahlzeiten und Nachtquartiere, als “Unterhaltung” zur Verfügung gestellt, wäre der Sex mit den Freiern, ob in Form einer Vergewaltigung oder freiwilliger Hingabe (so freiwillig, wie die Hingabe einer Sklavin an einen Adeligen halt sein kann) quasi aufgrund des Gastrechts legal gewesen. Da aber der Hausherr irrfahren war und die Gattin als Vertretung nicht zählt, wird der Einsatz der jungen Frauen für Ithaka als Kollaboration gewertet. Man möchte schreien ob dieser schiefen Logik!

Atwood präsentiert auch Mythologie gewohnt brillant – allein schon eine Aussage über die Form zu treffen, ist eine Herausforderung. Ein Gesang? Biographieprosa mit Gedichteinsprengseln? Ganz was anderes? Sie selbst nennt es “Scrapbook”, eine Art “Sammelalbum”. Trifft es natürlich am besten.

Weil ein Blick aus dem Fenster mich darin bestärkt, das Haus ganz sicher nicht verlassen zu wollen, habe ich heute früh in warme Decken eingerollt auch noch flugs das auf der Penelopiade basierende gleichnamige Theaterstück (auch aus Atwoods Feder) gelesen. Hätte ich die Theatergruppe einer Oberstufenklasse mit einem hohen Anteil an jungen Frauen zu unterrichten: es wäre das Stück meiner Wahl. Meine Herausforderung an die jungen Menschen würde darin bestehen, es erst einmal zu übersetzen (und zu verstehen) und dann aufzuführen.

Alle anderen sind von dem Zusatzaufwand befreit. Aber bitte lesen! Lesen! Lesen!

Und falls jemandem in meiner treuen Leserschaft so ist, als hätten sie schon einmal Hymnen auf Penelope gehört, dann ist das richtig. Auch die Tölzer Truppe unter Regie der hochverehrten Frau Rothmüller hat dem Odysseus schon mal gezeigt, wo Penelope den Most holt. (Siehe unten.)

* Jaha, hab ich selbst gegoogelt: so lautet die weibliche Form des “Agent provocateur”.

Nimmer ganz neu auf Netflix: “Seis Manos”

Hmmm. Es fühlt sich an, als habe man Halbstarke in einen Raum gesperrt, mit der Aufgabe, sich ihre Wunschserie auszudenken. Irgendwer hat die unausgegorenen Ideen mitgeschrieben und herausgekommen ist eine krude Animationsserie (schlechte Animation).

Es geht um einen Martial Arts-Master, der drei Waisenkinder in seinem mexikanischen (!) Shaolin-Dingsbums aufnimmt und sie zu fast unbesiegbaren muskulösen Kämpfern bzw. die weibliche Waise zur muskulösen und vollbrüstigen Kämpferin mit bauchfreiem Hemdchen ausbildet. Außerdem um Drogenkartelle, Katholizismus in seiner korruptesten Form, eigenartige Blutopfer, Waffen aller Art (viele, laut, noch viele mehr), mexikanisches gutes Vodoo (grüne Heilpampe (Kräuter = gut), traditionell von der weisen alten Frau mit Mörser und Stößel hergestellt), eine Odd-Couple Police Force (schwarzer amerikanischer DEA-Agent, ganz böses Klischee) sowie weibliche mexikanische Federale (noch schlimmeres Klischee), Eulen und Überwachungstechnologie, Eisenbahnbau, mehr mexikanisches, aber schwarzes Voodoo, das der Schurken-Druglord mit dem Ödipus-Komplex (schlimmstes Klischee von allen) gegen alle einsetzt, ekelige grausame Morde, Bruderzwist, die Formel fürs Ewige Leben (nein, kleiner haben wirs nicht) sowie eine Scheibe Wurst (keine gute Tat ohne Lohn).

Die erste Staffel endet mit einem Cliffhanger. Ich denke, für mich wars das. Ich will nämlich gar nicht wissen, wie es weitergeht und rate davon ab, mit dieser Serie Zeit zu verschwenden.

Verzerrte Wahrnehmung

“Endlich Schnee!” jubelt die wie immer für diese Tageszeit viel zu fröhliche Morgenmoderatorin im Radio. Ich ziehe nur die rechte Braue hoch. Das ist doch wirklich kein Grund für Jubel.

Um das Nachfolgende in seiner vollen Grauseligkeit verstehen zu können, sollte mann wissen, dass freitags die Heizungen im Büro früher als sonst auf kühler gedimmt werden (von 19° auf 17°), weil der Hauptmieter ein anderes Arbeitszeitmodell hat als ich. Ich bin also eh schon ziemlich durchgefroren und sehr Scheiße drauf, als ich durch gute 20 Zentimeter Endlichschnee zum Parkplatz stapfe, um dann im dichten Schneetreiben eben diese guten 20 Zentimeter pappig-nassen Endlichschnee von meinem Auto zu kehren und zu kratzen. Von oben bis unten eisekalt, was oben noch erschwert wird durch naßverschneite angelaufene Brillengläser sowie triefende Haare und unten dadurch, dass Schnee in Schuhe und Socken eingedrungen ist und die Hosenbeine bis fast Kniehöhe kaltklatschnass sind, stehe ich mich schlotternd durch den endlichschneebedingten Stau nach Hause. Hrrrgggn!

Der einzige Grund zur Freude an diesem Abend, wenn es denn überhaupt einen gibt, ist, dass weder Mann, Kind noch Tier zu Hause warten und mich in dem Zustand ertragen müssen.