Paradox

…ist es schon, wenn eine bekennende Atheistin fast platzend vor mütterlichem Stolz erzählt, dass ihr kleiner Sohn in seiner ersten “Reli-Ex” einen glatten Einser geschafft hat: weil er nämlich das Vaterunser auswendig aufsagen kann. Egal, ab welcher Zeile die Lehrerin den Einsatz gibt.

Der geht im übrigen in eine ganz normale staatliche bayerische Schule, so eine, in der in jedem Klassenzimmer nach wie vor ein Kruzifix hängt. Scheint, als stelle sich damit der Gebetsauswendiglernerfolg quasi osmotisch ein.

Konzert in der Unterfahrt: ABRAHAM INC. feat. David Krakauer, Fred Wesley & SoCALLED

Die Konzertkurzbeschreibung verhieß “Funk meets Klezmer” und das haben wir bekommen und so viel mehr: einen Abend mit ganz Großen. Fred Wesley, zum Beispiel, altersmäßig knapp vor dem Methusalemstadium, die Knochen schon sehr müde, aber an der Trombone (das ist einfach ein schöneres Wort als Posaune) ein Gott und dazu Godfather seiner Bläserbande Gary Winters (tp) und Brandon Wright (ts). Josh Dolgin, Künstlername: Socalled, Hip-Hopper, aber auch Keyboard-König, Rapper und Sampler und kongenialer Mit- und Gegenspieler der Rapperin Taron Benson, die aussieht wie eine jüngere und wildere Kusine Whopie Goldbergs, allerdings mit einem Mundwerk in ungefähr der Größe 3 x Whopie. Weiters zwei Gitarren, Baß, Schlagzeug.

Und natürlich Mr. David Krakauer, Klarinettist, Sänger, eitel wie drei Göckel und so gut, dass man es ihm sofort verzeiht. Mr. Krakauer ist Kanadier und gar nicht einverstanden mit dem Herrn, den sich die Amerikaner als Führer der westlichen Welt gewählt haben. Es sei ein bißchen wie mit wie Voldemort, also dem, dessen Name nicht genannt werden soll. Darum heißt der Mann mit dem blonden Mopp aufm Kopp bandintern auch nur “45”. (Für die, die nicht das amerikanische Schulsystem durchlaufen und Präsidenten auswendig gelernt haben: das ist seine fortlaufende Nummer.)

Es war das bisher politischste Konzert, das ich in der Unterfahrt erlebt habe und jeder hat natürlich gerne beim Trump-Bashing mitgemacht. Oh, well. Truck Fonald Dump. Die Band trug aber auch eine sehr bewegende Nummer zum Nazi-Anschlag in Charlottesville vor und feierte gemeinsam mit dem sehr enthusiastischen Publikum eine “Mazel-Tov-Cocktail-Party” (s. http://bit.ly/2js8jIf). Was der Erfinderin im übrigen Krakauers vergiftetes Lob eintrug: “Wow! Being racist and anti-semite in one sentence and not even noticing it…”

Die Musiker waren großartig, die Stimmung im überausverkauften Haus auch; ich habe nur für mich gemerkt, dass Funk alleine doch schnell langweilig werden kann. Jedoch in der Kombination mit Rap und Hip Hop und Klezmer allem, was ihnen sonst noch so einfiel: kein bißchen. Toll wars. Danke.

Angriff der Killerviktualien

Neulich las ich in einem Zeitungsbericht über einen achtzehnjährigen Jungstar, die sich beim Teilen einer Avocado in die Hand geschnitten hatte. Diese Wunde wurde vom (sehr wahrscheinlich weit) über achtzehnjährigen Autor des Artikels tendenziell abfällig als “typische Millennial-Verletzung” klassifiziert.

Nimm dies, Artikel-Autor: Soeben das allerletzte Unagi-Sushi in die letzten Tropfen Soja-Wasabi-Mix gestippt und – ah! – ein Stäbchenspreißel – mitten in der Lebenslinie. Und das Krasseste: Das ist mir echt selber passiert. Heute Mittag. Isch schwör! Und ich bin mindestens eine Doppio-Millenniala. Hah! Wie nennen wir so ein Verwundung jetzt bloß, Herr Autor?

Manchmal möchte ich meine Sorgen haben.

Soul Food

Wir sind ja ein toleranter Arbeitgeber und beschäftigen bei gleicher Qualifikation auch Menschen mit Migrationshintergrund, selbst aus dem Niederrheinland. Und wie das immer so ist, bringen Menschen aus ihrer Heimat auch typische Speisen & Gebräuche mit. Find ich gut. Und wäre ja eigentlich auch bei diesem Kollegen nicht schlecht; mit einem Dönerstag (in meinem Fall Falafel) könnt ich sogar leben. Aber Mettwoch?

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Mettwoch geht gar nicht.

Hut ab, Jack Ma (Ali Baba)

Mein Spamfolder ist heute voll wie nie. Und warum? Weil Sie, Mr. Ma, für China den 11.11.* als Singles Day erfunden haben (Motto: Wenn mich schon sonst keiner mag, dann kaufe ich mir eben selbst ein (besonders schönes und großzügiges) Geschenk. Pah!) schreibt mir heute jeder, der meine e-mail-Adresse mal wo gekauft hat, dass er mir Rabatt geben will. Auf alles. Selbst auf Tiernahrung. Hauptsache kaufen, Hauptsache heute.

Danke. Aber nein danke. Hab alles, was ich grad so brauche und außerdem den Gesamtinhalt des Ordners mit einem Mäuseklick gelöscht. Nicht, dass mich doch noch wer mit 11% oder 22% oder irgendeiner anderer Schnapszahl in Versuchung führt…

 

* Vier alleinstehende Einsen; singelinger gehts nimmer.

Double Down, Twitter

Endlich #280Zeichen: Nun können wir vom Niederflurförderfahrzeugführer berichten, der mit einer selbstfahrenden Arbeitsmaschine gegen den Betonstahlstangenbieger gefahren ist, nachdem er ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen links abgebogen war.#EndlichkeineAbkürzungenmehr
    — Polizei München (@PolizeiMuenchen) 8. November 2017

Ich mag den Twitterer bei der Münchner Polizei.

Gelesen: “Asterix in Italien”

Generationszugehörigkeit definiert sich ja unter anderem in der Zitatfestigkeit aus der zeitgenössischen (Pop-)Kultur und die meine ist mit Asterix und dem Warten auf den nächsten Band großgeworden und hat sofort Bilder vor Augen, wenn der Legionär beim Fegen zwischen der vorhergehenden und der nächsten halben Platte auf seinen Besen gestützt ein Päuschen macht oder der Anführer des kleinen gallischen Dorfes sich “so müde… nur noch müde…” fühlt.

In meiner Zeit in der amerikanischen Diaspora waren mir die ersten neuen Bände nach Uderzo (“Der Papyrus des Cäsar” und “Asterix bei den Pikten”) entgangen. Ich hatte die Lektüre dann vor zwei Jahren in meiner Zeit in einem asterixaffinen Haushalt nachgeholt und sie sind mir nicht besonders im Gedächtnis geblieben – über die Maßen angetan kann ich also nicht gewesen sein. Von “Asterix in Italien” hatte ich zunächst auch nur den Verriß des offensichtlich in meiner Abwesenheit zum – zumindest für den Spiegel – Comic-Papst aufgestiegenen Timur Vermes gelesen. Vermes und ich sind uns in den seltensten Fällen über die Qualität von Werken einig und wenn, dann muß es schon sowas wie die hoch im Graphic-Novel-Olymp angesiedelten Moore’schen “Watchmen” sein. Schon das ist Grund und Anlaß genug, mir selbst ein Bild zu machen und dass die Kritik in der Süddeutschen ganz anders und sehr wohlwollend, fast liebevoll ausfällt, tut ein übriges.

Ja, wie isser nun, der neue Asterix? Mich erinnert er sehr an die “Tour de France” der Originalautoren. Fand ich damals auch so eher mittelmäßig. Dieses Mal durchqueren die Helden halt Italien in einem Wagenrennen, die gotischen Pferde marschieren im Gleichschritt, die katalanischen Wagenlenker kommen kaum aus den Eisen, die kaledonischen tragen Tartan, die Briten trinken ihr heißes Fünfuhrwasser, die Nubier haben ein Doppeldamenteam in schwarzgetupftem Gelbpelz entsandt, man kennt das alles noch von früher und freut sich dran. So rasen sie über schlaglöchrige Römerstraßen, speisen regionale Spezialitäten und die Gegner sind eher nicht die anderen, sondern der Römer mit der Grinsegoldmaske, dessen Sieg von Anfang feststeht. Wirklich? Nein, natürlich nicht. Kleines gallisches Dorf, aufmüpfig und so.

Vermes schreibt: “Uderzos Zeichnungen hatten immer etwas Wertiges. Das lag am Detail und an der Überfülle von Ideen: An den (verbeulten!) Rüstungen der Legionäre, den riesigen Wäldern, wechselnden Einstellungen, Tageszeiten. Conrad hat all das reduziert: Wo Uderzo einen Strich mehr machte, macht Conrad zwei weniger. Das ist noch zu verschmerzen, leider spart er auch bei den Ideen.”

Ich glaube, Vermes hat nicht bis zu Ende gelesen oder er wollte gar nicht erst sehen, dass es ausgesprochen nette Details gibt, weil die nicht in sein Bild passen. Pars pro toto: Cäsars Adjutant und der rote Schmetterling, die Bandenwerbung, das ältere Ehepaar auf seiner Sonntagsfahrt.

Man kann diesen Band lesen. Er ist nicht außergewöhnlich, nicht wahnsinnig komisch, nicht wahnsinnig politisch, aber unterhaltsam genug – so wie “Tour de France” halt. Und wenn das kein Ritterschlag von Flocks Gnaden ist, dann weiß ich auch nicht.