26. Dezember, Sonne in San Francisco

Gestern hat es den ganzen Tag kalifornisch geregnet, also aus allen Kübeln geschüttet. Meine sump pump hat brav gepumpt, das Häuschen in ein wildes Vibrato versetzt (ich überlege mir inzwischen, ob sich daraus nicht ein Geschäft machen ließe: für ein paar Minuten im Relax-Vibration-Chair in der Mall zahlen die Menschen ja auch gerne eine Handvoll Dollar) und dem vorne auf der Straße parkenden Pick-up ein paar gründliche Unterbodenspülungen zukommen lassen. Also bin ich zu Hause geblieben habe “Freedom” von Jonathan Franzen gelesen. Ein ganz großes Buch.

Nachdem heute die Sonne wieder schien, hatte ich Lust, mir die weihnachtlichen Nachwehen in der City anzusehen. Mit dem CalTrain in die Stadt, weiter mit dem Bus, Ecke 3. & Market. Sie sind alle fahrplangemäß gefahren – wahrscheinlich ein kleines Christmas-Miracle. Dafür anekdotenfrei, von kleinen alten asisatischen Damen abgesehen, die offensichtlich nicht um ihre statistisch sehr hohe Lebenserwartung wissen. Warum sonst sollten sie die bis zur Einfahrt des Busses diszipliniert aufgereihte Schlange auflösen und wie die Wahnsinnigen in den Pulk der Aussteigenden drängeln? Führt bei doch wieder nur zu blauen Flecken auf Hüfthöhe.

Nun aber. Die Damen aus dem Weg gekickt und auf zum Union Square unter Umgehung der Cable Car Endstation, wo Horden von Touristen ihrem authentischen San-Francisco-Fahrerlebnis entgegenwarten. Als “Local” weiß man, in welche Nebenstraßen auszuweichen ist, dahin, wo die Irren&Wirren laut kreischend und wild gestikulierend mit ihren Dämonen hadern und ein Schnorrer den Dank für die geschenkte Zigarette mit der Empfehlung verbindet, Johannes 3.3 zu lesen, weil dort der Schlüssel für das Ende der Drogenkriege zu finden sei. Johannes 3.3 lautet: “Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.” Es würde mich interessieren, welche Reaktion das Zitat in einer Auseinandersetzung mit einem Narco-Kartell-Krieger hervorruft. Es steht zu hoffen, dass er bibelfest genug ist, um daraufhin die Waffen niederzulegen. Ich bin inzwischen endlich bei Macy’s, bestaune den riesigen Weihnachtsbaum (den stiftet das Warenhaus traditionell den Bürgern von San Francisco und bei Tageslicht sieht der gar nicht so schlimm aus) und die überkitschige Weihnachtsdeko in den Schaufenstern (unter Wegkicken weiterer Asiatinnen).

Und nun? Wer nicht auf die Cable Car wartet oder kreischt ist eindeutig dabei, die Weihnachtsgeschenkgutscheine in Ware umzumünzen. Gestern am “Christmas Day” (Santa liefert in der Nacht davor aus) hatten die Geschäfte geschlossen. Manchen ist die nackte Kaufnot ins verzerrte Gesicht geschrieben. Es ist voll, alle schleppen Tüten, alle rempeln und ich habe genug.

Außerdem habe ich Hunger. Ich gehe die Market Street Richtung Ferry Building hinunter und die Lage entspannt sich, kaum mehr Geschäfte, kaum mehr Leute. Bei Noah’s Bagels verkaufen sie jetzt den “Pretzel-Bagel” (eine nicht notwendigerweise zu wiederholende kulinarische Erfahrung). Am Embarcadero gibt es einen kleinen Weihnachtsmarkt (mit Batik-T-Shirts, SF-Souveniers und lustigen Tiermützen – ich habe den Verdacht, dass die gleichen Stände im Sommer auf den Street Fairs zu finden sind) und eine Eislaufbahn und an meinem Lieblingspier mit Blick auf die Bay Bridge steht jetzt keine Spinne mehr (die hat ein reicher Texaner gekauft, man gönnt sich ja sonst nix nettes fürs Ölfeld), sondern eine lustige Rakete.

Das hätt’s gewesen sein können, aber dank der Weihnachtsfee saß in meinem Waggon in der Tram eine Dame mit hüfthohen schwarzen Lederstiefeln (ohne High Heels hätte ich auf Flußfischerei getippt), parlierend in ihr rosa Telefon, farblich perfekt abgestimmt zu Lippenstift und Nagellack, 2 Meter groß mit breiten Footballerschultern, die am Bahnhof alle kleinen Asiatinnen für mich aus dem Weg kickte.

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