Dieser Nachmittag hat eigentlich keine Aussichten, für die Aufnahme ins Buch meiner Erfolge nominiert zu werden. Erst mal regnet es. Damit hat ein Tag ohnehin schon weniger Chancen. Und es ist kalt. Dann wird es echt schwer. Als hätten sie sich abgesprochen, teilt mir der widerliche Bankettmensch in dem Restaurant, das ich für die Company Christmas Party ausgesucht hatte mit, dass sie eine so große Gruppe so kurz vor Weihnachten wirklich nicht mehr in dem von mir gewünschten Rahmen unterbringen könnten und die unfähigen Kasper in dem Etablissement, das ich für das anschließende Unterhaltungsprogramm ausersehen hatte, sind nicht darauf eingestellt nach 10:00 Uhr abends Gäste um sich zu haben. Da machen sie nämlich zu. Wer Spaß wolle, solle doch in die City fahren. Gggrrrggghhhh. Schnell noch was einkaufen und dann nix wie heim, Tür zu und den Rest des Tages aktive Misanthropie betreiben. Dann ist der Supermarkt auch noch übervoll, wahnsinnige Nikon-Mütter auf Photo-Safari und dieser Riesenkerl mit seinen langen Armen schnappt mir das letzte Toastbrot vor der Nase weg. Was ein Dreckstag!
Es schifft. Jede Ampel auf diesem mistigen Camino Real wird rot, wenn ich mich nähere. Mir langts. Ich biege jetzt einfach rechts ab und schleiche mich über ampelfreie Nebenstraßen nach Hause. Hügel hoch. Der Regen hört schlagartig auf, die Sonne erleuchtet die nasse Vorstadt und an der nächsten Querstraße ein rotes Schild “Garage Sale”. Genau, da in dem baufällig wirkenden Häuschen auf der überdachten Terrasse sitzt eine ältere Dame und bietet Kruscht feil. Wie’s die Fügung will, ist genau vor dem Haus ein Parkplatz frei. Spontan entschließe ich mich zum Antifrustshopping.
Sie hat da auf ein paar Klapptischen viel Alte-Damen-Zeug liegen. Strickjacken, Broschen, ein paar angestoßene Teile vom ehemals Guten Geschirr, Schalen mit Duftpotpourries, Döschen, Tiegel, Töpfchen, ein paar Riegel Avon-Seife, halb abgebrannte Kerzen in gußeisernen Ständern – so gar nichts, was ich hätte haben wollen (wobei ich auch in dem Moment nicht gewußt hätte, was ich eigentlich will). Jetzt bin ich erst recht frustiert und sage ihr das auch.
Shantelle ist aber nett, lädt mich auf Kaffee aus der Thermoskanne ein (nimmt dafür flugs von einem der Tische eine nur leicht verstaubte Tasse), wir schwatzen ein bißchen und dann meint sie, ich solle doch noch mal schauen, manchmal sehe man Dinge erst auf den zweiten Blick. Das mache ich aber auch nur für sie. Sie hat recht. Da hinten, in der Pappschachtel – was ist das denn? Och, das? Das sei nur ihr Oujia Board. Man ist ja belesen und weiß, dass es sích bei einem Oujia Board um ein Hexenbrett handelt, mit dem man in spiritistischen Sitzungen Kontakt mit der Geisterwelt zum Zwecke des Orakelns aufnimmt. Darüber hinaus ist man auch neugierig. “Darf ich mir das mal ansehen?” Shantelle macht einen Satz aus ihrem Klappstuhl, der unser beider Kaffees stark gefährdet und wirft mir den Karton geradezu in den Schoß. “Sure, Honey. You’ll love it. It’s gonna talk to you.”
Bestimmt. Hat wahrscheinlich seit Jahrzehnten hier auf mich gewartet und wenn ich nachher mit dem Ding wegfahre, dann verschwinden Shantelle, Haus und Straße. Come on, ich habe meine Gruselgeschichten gelesen und bei Mary Poppins passiert das auch immer wieder – alles Fiktion, ma chère Shantelle (habe ich mir übrigens buchstabieren lassen, der Name schreibt sich tatsächlich so und kommt aus dem Kreolischen) – Voodoo-Puppen hast du aber keine? Oder? Da grinst sie breit und zahnlückig, nö, aber Back Yard Chicken halte sie sich. Also gut, ich glaube eh nicht dran, ich kann’s mir ja mal ansehen. Draufblick auf den Karton: das Brett wurde produziert in Salem, Massachusetts. Schluck. Salem. Das ist doch die Stadt, in der sie vor lauter Hexenhysterie eine ganze Menge Leute umgebracht haben? Ganz ruhig und vernünftig bleiben und bewundern, wie geschickt die Marketingabteilung bei Parker Brothers den Salem Mythos zur Verkaufsunterstützung einsetzt. Puh. Hätte beinahe geklappt. Die Schachtel riecht nach altem gut abgelagerten Karton, fast wie alte Bücher. Als ich sie vorsichtig aufzumachen versuche, scheppert es drinnen ganz entsetzlich. Kommentar Shantelle: “Ouija says Hello.” Was ein Quatsch! Der Karton bröselt ein bißchen, als ich das Brett ans Tageslicht zerre und es fängt an zu blitzen und zu donnern. Ganz cool bleiben, schwere Gewitter waren schließlich vorhergesagt worden.
“Müßte da nicht noch so eine Art Zeiger dabei sein?” “Sure, Sweetie – I’ve put it all in the box for you.” Stimmt, ist drin. Ich lege den Karton weg und halte Zeiger und Brett auf den Knien. Zwischen Blitz und Donner liegen keine Sekunde mehr, die Luft riecht nach Ozon. Shantelle kichert. “Can you feel it?” “Nope.” “Do you sense the power?” “Nope.” Hmmm. Macht nix, sagt sie. Das kommt vor. Ein Gewitter kann den Fluß kosmischer Strömungen stören, das müsse ich mir vorstellen wie einen Kurzschluss in einer Stromleitung. Und nun? Ich soll’s mitnehmen und zu Hause ausprobieren.
Hah! Jetzt habe ich sie. Sie sagt bestimmt, dass sie mindestens 20 Dollar dafür will und dann sage ich, dass mir das zu teuer ist und ich aber verstehe, dass das Brett für sie wertvoll ist und ich sie nicht durch feilschen beleidigen will und dann verliert keine von uns das Gesicht und alles ist gut. Von wegen. Sie grinst wieder und meint, ich solle ihr nur die $3,63 geben, die hinter dem Druckknopf in meinem Geldbeutel sind (ich habe die Angewohnheit, kleines Wechselgeld, Scheine und Münzen, in dieses Fach zu knautschen). Jetzt bin ich aber doch neugierig. $3,63 – wenn das stimmt, soll sie sie haben. Es stimmt genau, bis auf einen Euro-Cent und einen kanadischen. Wir tauschen. Geld gegen Hexenbrett. Mich wundert gar nichts mehr und ich erzähle ihr von meinem literaturgestützten Verdacht, dass morgen sie und ihr Haus nicht mehr auffindbar sein werden. Breitestmögliches Grinsen:”Feel free to check, Sweetheart. You’ll either be right or welcome to have another coffee.”
Ich könnte das Brett befragen…
kennt ihr den schon? treffen sich 2 hexen hinter den nebelhügeln, …
Gratuliere, Du hast das Schneidbrett von Granny Weatherwax erstanden.