Der Wein erfreut des Menschen Herz*

Was dem deutschen Winzer sein Goldener Oktober ist, ist dem kalifornischen der gleichfarbene November. In den Tälern um Napa und Sonoma, am Russian River, überall im Wine County wird die Lese traditionell am ersten Novemberwochenende abgeschlossen. Ebenso traditionell ist es dann voll und überlaufen von Amateur-Önologen. Klar, dass wir zu Hause geblieben sind. Außerdem war das Wetter nicht so besonders.

Letztes Wochenende hingegen war es ganz besonders. Besonders schön nämlich. Darauf hatten Kollege Christoph (zur Zeit aus Deutschland zu Besuch) und ich ja bloß gewartet. Am Samstagmorgen Strandtasche, Picknickkorb und Übernachtungsrucksäcke in den Kofferraum geschmissen und – als zugereister Neu-Local kennt man sich schließlich aus – auf der stauärmsten und hübschesten Route (dem Highway Number One) über die Golden Gate Brücke nach Norden aufgebrochen.

Einfach göttlich! Blauer Himmel mit bilderbuchmäßigen Schäfchenwölkchen, strahlende Sonne, auf einem schön gewundenen Sträßchen auf und ab an majestätische Redwoods (ja, langweilig, aber mir fällt zu diesen Bäumen kein besseres Adjektiv ein) und hellglimmenden Eukalypten vorbei, ein glitzernder Pazifik, schroffe Felsküsten, abgelöst von goldenen Sandstränden, der eine oder andere buntbelaubte Baum (“uiiii schau, schon wieder ein Indian Summer”), Knurpselblätter unter den Rädern – dieses Nordkalifornien kann schon, wenn es will.

Bodega Bay. Anhalten. Vögel schauen. Und was essen. Frische Austern? Aber ja! Unbedingt. Man reiche mir ein halbes Dutzend. Und Clam Chowder auch noch. Yummie! Was scheren uns da die Mozzarella Sticks und Bagels im Picknickkorb (erstere waren bei der Rückkehr nur leicht verbogen, letztere einfach einen Tag älter)?

Weiter, ins Landesinnere, dem Lauf des Russian River folgend (das Blöde ist, seit der Umstellung auf Winterzeit ist es um 5:00 schon wieder dunkel und dann seggt ma hoit nix mehr – da muss man sich ranhalten als Tourist). Uiii, schau: Das erste Weinfeld. Yeah! Da, das zweite! Yeah! Da, noch eins! Yeah! Und noch eins, zwei, viele – jetzt sind wir wirklich mittendrin. Den Sonnenuntergang photographieren wir noch, und dann schauen wir mal, wo wir über Nacht bleiben. Leider gibt es kaum Weingüter mit “Accommodation” und die nächsten paar kleinen Städtchen waren immer gleich wieder zu Ende. Hmmm. Müssen wir uns Sorgen machen? “Als nächstes kommt Santa Rosa.” – “Das klingt gut, da finden wir was.”

Eben. Im “Hotel La Rose”, zentral am Railroad Square** gelegen, hat man Zimmer im Kutschenhaus zu vermieten. Paßt. Nehmen wir. “Wo, gute Frau, kann man denn hier Wein probieren?” “Ohhhh, so spät noch?” (Diese amerikanische Unsitte, um 6:00 zum Abendessen auszugehen und um 7:00 mit seiner Restebox nach Hause zu fahren gilt offensichtlich auch für’s “Wine Tasting”.) Doch Erica weiß Rat, ruft rasch bei D’Argenzio an und avisiert unseren Besuch. “Ihr müßt sofort los, die lassen für euch extra länger offen. Da sind eure Coupons, dann müßt ihr nix zahlen. Husch, husch. Das ist nicht weit. Gleich die Straße runter, höchstens 10 Minuten. Mit dem Auto.” Mit dem Auto? Zur Weinprobe? Was soll’s. Paßt schon.

Was bei D’Argenzio dann am Tresen hing, hatte offensichtlich den ganzen Tag fleißig mit den probierenden Touristen mitgehalten (und nichts ausgespuckt). Ein kleiner knubbeliger Mann, mit knubbeliger roter Nase, knubbeligen rosa Bäckchen, knubbeligem Bart und sehr verwaschener Aussprache: “Zisssiss our (Blick aufs Etikett) Rushushusssianrivver Pinnnnoir (und – des Vortrags über Note und Abgang offensichtlich schon sehr müde – jeden Wein beschreibend mit) … zisssiss a verrrygooodwine. PPuhuuhh!” (ob der Anstrengung erschöpft sich und uns nachschenkend). Acht Weine in unter 15 Minuten verkostet, das soll uns mal einer nachmachen. “Ihr übernachtet hier? Dann kommt doch morgen wieder, wenn ihr was kaufen wollt.” Knubbel war alle, die Energie fürs Verkaufsgespräce brachte er einfach nicht mehr auf. Auch gut. Dann gehen wir jetzt. Gemächer beziehen, frisch machen (und endlich mal den Pazifiksand aus den Schuhen und Socken schütteln), Dinner, und dann in Ruhe in einer netten Weinbar noch ein, zwei Gläser trinken. Sehr sehr sehr schön.

Sonntag: Wetter etc. siehe oben, der Himmel vielleicht sogar noch ein bißchen blauer, die Sonne noch wärmer, und auffällig viel Indian Summer. (Kann natürlich auch daran liegen, dass es weniger Nadel- und sehr viele Laubbäume gibt.) Auf dem Highway N° 12 (Highway = zweispurige Landstraße) durchs Sonoma Valley. Ein hübsches Gut am anderen, mal hier, mal da anhalten, das tausendste Photo von letzten Reben vor buntem Laub machen und dann ein Schild: hier geht es zum “Benziger”.

Benziger. Das klingt gut. So unamerikanisch. Das wollen wir sehen. Kaum sind wir auf der Nebenstraße wird alles einen Tick normaler, man sieht Fußgänger (vorwiegend Jugendliche mit Sonntag-und-mir-ist-langweilig-Flunsch), Bauern und Traktoren, es ist auch mal was vergammelt, verfallen oder rostig. Sehr sympathisch. Wir parken oben beim Benziger, machen die “Wine-Tour” mit und lernen: die aus der Schweiz stammende und sehr vermehrungsfreudige Familie Benziger hat ihr Geld mit Druckereien (die Chicago-Benzigers) sowie mit dem Import und Export von Schnaps (die Brooklyn-Benzigers) verdient. In der “dunklen Zeit” (damit meinen Amerikaner die Jahre 1919 bis 1933), also während der Prohibiton, druckten die einen katholische Pamphlete wider den Teufel Alkohol, die anderen belieferten die Flüsterkneipen und zogen irgendwann nach Kalifornien um. Ende der Siebziger kaufte man aus der Konkursmasse einer Hippie-Kommune (“They grew – Zwinker Zwinker – Medical Herbs here”) die Weinberge (mit bereits perfekt angelegten Terassen), besann sich auf die Schweizer Tradition und begann mit biologisch-dynamischen Anbau in der Tradition Rudolf Steiners. Das Gut wird heute noch einmal im Jahr vom deutschen Demeter-Gremium zertifiziert. (Dass es ein deutscher Kontrolleur ist hat allen den gewünschten heiligen Schrecken eingejagt. Q/A made in Germany: das muss gut sein.)  Keine Ahnung haben und dann auf Hippie-Kräuter und antroposophischen Weinbau stoßen – und das alles bloß, weil uns der Name so gut gefallen hat. Benziger. Noch einen Kaffee in Sonoma und dann auf den 101. Und in anderthalb Stunden wieder daheim. Schön ist das.

PS: Photos dauern noch ein bissele – das Bildbearbeitungsprogramm auf dem neuen Dell bedarf noch einer helfenden Hand.

* Psalm 104, 15

** Amerika war mal so ein stolzes Eisenbahnland – es ist dermaßen schade, dass das alles so verkommen ist (der Bahnhof in Santa Rosa ist zwar wunderbar renoviert und nun das Heim der Touristeninformation, nur leider, Züge fahren ihn nicht mehr an. Dafür bietet der kleine Park davor aber jeder Menge nunmehr zuglosen Hobos Asyl). Aus Christophs Archiv des Halbwissens stammt die Anekdote, General Motors habe in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Los Angeles Züge und die Gleis-Infrastruktur aufgekauft und plattgemacht, um den Absatz ihrer Automobile anzukurbeln. Hab’s nicht recherchiert, es würde mich aber nicht wundern, wenn es stimmte.

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