Nicht mehr neu auf Netflix – Sense8

Weihnachtsferien sind bei mir traditionell Binge-Watch-Zeiten. Wann sonst komme ich dazu, dieses Eine-Folge-noch-und-danach-wirklich-ins-Bett-Verlangen ohne die häßliche Oh-verdammt-ist-dieser-Arbeitstag-lang-lang-lang-Reue zu befriedigen? Die erste Serie ist geschafft. War sie gut? Hmmm, schwierig.

Worum geht es? Acht Menschen, quer über den Erdball verteilt, fühlen auf einmal eine psychische Verbindung zueinander und sehen sich sofort einem feindlichen Gigakonzern gegenüber, der sie deswegen ausmerzen will. An sich ein spannender Plot, Science Fiction, aber in der Gegenwart angesiedelt. Diese acht Menschen sind so unterschiedlich wie die Weltbevölkerung halt ist, in Hautfarbe, Klassenzugehörigkeit, sexueller Identität, haben aber alle eines gemein: sie sind jung und schön, leben in Großstädten (alphabetisch: Berlin, Chicago, London, Mexico City, Mumbai, Nairobi, Reykjavík, San Francisco, Seoul), die Männer zeichnen sich durch ungemein definierte Körper aus, die Frauen changieren an der Grenze zur Magersucht. Wie sie halt aussieht, die Weltbevölkerung. Hmmm.

Location Scout hätte man sein wollen in dieser Produktion der Wachowski-Schwestern. Man wäre herumgekommen und hätte nebenher seine Ausbildung als Makler für die schönsten Dachterassenwohnungen weltweit abschließen können. Meine Fresse!

Die Bilder sind über zwei Staffeln hinweg durchgehend grandios. Der Soundtrack hätte besser nicht sein können und man hat auch nicht am Cast gespart. Warum nur bleibt trotzdem ein schales Gefühl zurück?

Weil die Figuren Typen bleiben. Der Panzerknackerbub aus dem Tacheles-Berlin mit dem ungelösten Vaterkomplex und der Bazooka, wenn Nahkampf nicht reicht; die Tochter aus reichem indischen Hause, hin- und hergerissen zwischen Tradition (einen guten reichen indischen Mann heiraten) und Moderne (ich glaube, was sie da mit Pipette und Reagenzgläsern treibt, soll ein abgeschlossenes Studium der Pharmazie darstellen) und schon durch ihre pure Existenz Grund genug, eine unglaublich aufwendige indische Hochzeit fast in Echtzeit zu filmen; der Latino-Telenovela-Mucho-Macho-Action-Held, der seiner guten guten Mámá innig zugetan ist, und der kein Geheimnis besser hütet als sein Schwulsein; die weiße Transgenderfrau mit der Hackervergangenheit, deren Mutter eher einer Zwangslobotomie zustimmt, als von ihrem “Michael” zu lassen und die mit einer hinreißenden Frau anderer Hautfarbe zusammenlebt (Zweifliegeneineklappe, jaha) und so weiter und so fort. Ja.

Nochmal, die Bildsprache ist beeindruckend, aber selbst bei den Netflix geschuldeten softpornoartigen Sexszenen springt kein Funke über und das, obwohl “Sensates” fühlen, was die anderen fühlen und dies als Anlaß genommen wird, Rudelbumsszenchen zu zeigen. Alle mit allen, über alle bekannten gesellschaftlichen Grenzen hinweg. Huiuiui? Kein Effekt. Eher klinisch. Man holt sich halt derweil was zu trinken oder geht mal aufs Klo. Dann sind die fertig und die Geschichte geht weiter.

Wie etwas halt so “weiter” geht, wenn es keine wirkliche Basis gibt. Die einen haben eine Gabe, die anderen wollen sie töten. Geschichte aus. Das rechtfertigt einige sehr superschön choreographierte Kampfszenen (wie gut, dass die Heldin aus Korea von klein auf Kickboxen gelernt hat), ganz supergrausame Untergrundlabormenschenversuchsmomente mit Nazischergenlookalike-Ärzten, wirklich herzzereißende Rückblenden (“Wie-ich-in-einer-isländischen-Winternacht-mein-neugeborenes-Kind-verlor-und-trotzdem-erfolgreiche-Berghain-D-Jane-wurde”), supergrausige Junkie-Schmuddelschmiermatratze-Feuerzeug-unter-Löffel-Blubberzeug-koch-in-verlassener-Fabrik-Injektionen, superschlimme Tränen-aus-schönen-Augen-Trennungen und superwunderschöne Tränen-aus-schönen-Augen-Wiedervereinigungen im Gegenlicht. Hach! Und sooo fad.

Die Krönung ist das Netflix von den Fans abgerungene zweieinhalbstundenlange Kitsch-as-Kitsch-can-Serienfinale. “Amor Vincit Omnia”. Mon dieu! Alles, was ich im letzten Absatz erzählt habe, komprimiert und doch breitgetreten. Die Folge gipfelt in einer Hochzeit auf dem Eiffelturm. Mit Feuerwerk. Und dem gesamten Cast. (Wie gesagt, Location Scout hätte man sein mögen.) Zwei Frauen geben sich das Ja-Wort, und die Autoren sind sich nicht zu schade, die bis dato verkniffene ultrakonservative Mutter der einen nach dem Genuß von Special Brownies (jaha, mit Haschisch!) zur liebenden Toleranze mutieren zu lassen.

Ist ja recht. Jede/r soll jede/n lieben können, in jeder Konstellation. Fein. Macht doch alle, was ihr wollt. Das nächste Mal mit etwas weniger Ageism vielleicht?

Ob man sich das ansehen soll? Ich weiß es nicht. Mir hat es nicht gereicht. Es fühlt sich an, als hätte ich willentlich viel zu viel bunte Zuckerwatte gefressen. Kann auch mal nett sein, aber jetzt brauche ich was Richtiges.

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