Neu im Kino: Mord im Orient-Express (2017)

Was die aktuelle Verfilmung des Mordes im Orient-Express von der Version aus dem Jahre 1974 unterscheidet? Kenneth Branagh (Regisseur und Poirot-Darsteller) löst zum Einstieg flott an der Klagemauer (wo sonst?) die Konflikte der Weltreligionen; im Zug angekommen setzt er ein Zeichen gegen Rassismus (weiße Frau (ehemals Gouvernante) und schwarzer Mann (natĂŒrlich Arzt) sind ein Paar – und das wird ihnen im Europa des Jahres 1935 vermeintlich so viel leichter gemacht als “bei euch daheim in Amerika”) und fĂŒr LGBT (weil er zwei gemeinsam reisenden Frauen wenig subtil eine lesbische Beziehung unterstellt, ob sie sie nun haben oder nicht), dafĂŒr ist der Zug jetzt kein Zug mehr, sondern CGI und der Zuschauer des Jahres 2017 wartet insgeheim eigentlich immer nur darauf, dass die Dampflock demnĂ€chst in den Bahnhof von Hogwarts einschnauft. Spoiler: sind aber doch keine Zauberlehrlinge im Schlafwagen, sondern Schauspieler in Dreißiger-Jahre-KostĂŒmen.

Und was fĂŒr welche: Michelle Pfeiffer kriegt in Lauren Bacalls Fußstapfen keinen Fuß auf den Boden, PenĂ©lope Cruz ist so langweilig, wie Ingrid Bergmann damals komisch war, wenn sie von ihrer Missionsarbeit bei zurĂŒckgebliebenen braunen Babies erzĂ€hlte. Judi Dench, nein, keine Angst. Auf Dame Judi lasse ich nichts kommen. Leider verlangt die Rolle nur, dass sie edles Tuch trĂ€gt und eklig zum Personal ist – dass schafft sie auch, wenn man sie frĂŒh um halb vier mit einem fetten Kater aus dem Bett zerrt ohne Proben mit links. Sean Connery wird von Leslie Odom Jr. gegeben und der hat die Rolle nur gekriegt, weil er schwarz ist (wg. Antirassismus), Josh Gad spielt Anthony Perkins und um den Auftritt von Johnny Depp zu beschreiben, fehlen mir Worte, die nicht mit Mitleid und Arme Sau zu tun haben.

Kurz vor Schluß gefĂ€llt es Herrn Branagh, eine vollkommen unnötige Action-Szene unter Einsatz von Schußwaffen, ach was, unter Einsatz einer Pistole aufzupropfen und dann lĂ€ĂŸt er seinen Helden, einen Belgier, einen ganz ganz schweren Gewissenskonflikt durchleiden. Einen Gewissenskonflikt, bei dem man, so wie er ihn spielt, eher vemutet, Poirots Vorfahren seien mindestens in der 10. Generation die besten Drama Queens der MittelmeeranrainerlĂ€nder. Einen Gewissenskonflikt, der ihn letztendlich zu der Erkenntnis fĂŒhrt, dass es nicht immer falsch und richtig gibt, sondern manchmal auch was dazwischen. Überraschung!

Ich weiß nicht recht, ob an dem seltsamen Branagh’schen Ehrgeiz liegt, irgendwo in dieses SalonstĂŒck einen arthausigen Anspruch hineinzuinszenieren oder daran, dass der 74er-Film in den leicht verblichenen Farben dieser verflossenen Ära mit seinem ZwischenkriegsplĂŒschluxus einen Nostalgiebonus hat und man der doch etwas betulichen Whodunit-Geschichte ihre BrĂ€sigkeit deswegen leichter zu verzeihen gewillt ist – der 2017er-Film lĂ€ĂŸt einen unzufrieden zurĂŒck. Das ist elendsschade, denn Branaghs Shakespeareverfilmungen, seinerzeit noch mit Emma Thompson, gehören zu meiner Einsameninselausstattung und ja, ich hatte einfach mehr erwartet. Ich fĂŒrchte allerdings, dass uns in den nĂ€chsten Jahren, immer so um kurz vor Weihnachten, eine weiterer Krimi aus Agatha Christies reichem Schaffen drĂ€ut. Mit Branagh als Poirot. Der Tod auf dem Nil ist dem Vernehmen nach schon in Arbeit.

Und wenn kein Poirotkrimi mehr ĂŒbrig ist, kann er immer noch altersnĂ€rrisch das Fach wechseln und Miss Marple spielen. Oiwei.

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