Die Schäferbeinprognose erweist sich als korrekt und es regnet. Das macht aber nichts, denn erstens hatte ich mir nach Karins drastischen Schilderungen (“wenn’s hier schüttet, steigen die Wolken von unten nach oben und die Welt ersäuft in Matsch”) gewünscht, das auch mal zu erleben und zweitens “haben wir die Sierra dann für uns alleine”.
Als wir gegen Mittag aufbrechen ist wieder andalusischer Frühling, die Sonne bricht durch und der Wind treibt ein paar versprengte Wolken über die Hügel. Wir packen aber trotzdem unsere Hoodies ein, denn in den Bergen weiß man ja nie (ach Déjà vu) und dann schrauben wir uns über kleine Sträßchen durch immer dichtere Wälder hinauf nach Grazalema. Hübsch ist das hier, direkt in den Karsthang hineingebaut, Gassen mit Kopfsteinpflaster schmal, eng und steil, Häuser weiß gestrichen, Kirche in Rot und Ocker mit freistehendem Glockenturm, Plaza del Toros, Fuente*, Ferretaria** und gleich auf den ersten Blick una, dos, tres Queserias, die neben (vorwiegend Ziegen-) käse auch Marmeladen, Honig, Trockenfrüchte, Wein, Essig und Öl verkaufen.
Paßt, Grazalema hat als “wieder ein pueblo blanco típico” bestanden. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander, manchmal eher klumpenförmig, manchmal lang an in eine Schlucht gelegt, immer weiß, immer steil, immer mit Kirche, Fuente und Ferretaria; je höher gelegen, desto eher wird Käse angeboten, die mittleren Lagen sind Lederspezialisten und die drunten im Tal können besonders gut Wurst und Fleisch (carnicería).
Weiter gehts, wir sind inzwischen weit über 1000 Meter hoch und die Gipfel vor, um und neben uns reichen bis über 1600 Meter. Nein, ich möchte nicht im Winter mal herkommen, wenn sie schneebedeckt sind, nein, auch nicht, wenn das sehr schön aussieht. Die Vegetation wechselt schon wieder, inzwischen fast nur noch Nadelgehölze; die hiesig endemische Igeltanne (Abies pinsapo Boiss) müssen wir uns allerdings vorstellen, das letzte Gebiet, in dem sie wächst, kann nur mit einer Sondererlaubnis besucht werden. Dafür luftsurfen über uns Gänsegeier, in den Schluchten zu unseren Füßen grasen Schafe und Ziegen, alles was blühen kann, blüht und die Luft ist gefüllt mit Düften, mit Summen, Brummen, Zwitschern, Flöten – grad schee isser, der andalusische Frühling.
Zum café manchado (wörtlich: “getüpfelt”, sinngemäß con leche mit mucho mas leche) wollen wir nach Ubrique, aber dann ist Ubrique (wir fragen uns, ob es sich um die andalusierte Form der nordischen Ulrike handelt) auf einmal eine 15.000-Einwohner-Stadt mit lauter Hautverarbeitern (“piel”) und Fabrikverkauf und Feierabendverkehr. Feierabendverkehr? Oh ja, aber wie! Christi Himmelfahrt ist in Spanien überraschenderweise kein Feiertag. Wir halten es nach soviel großer Natur und Menschenleere hier nicht gut aus und wollen doch lieber weiterfahren, durch zunehmend flachere Landschaften, Flußläufen folgend, wo halbnackte Eichen stehen und die für das nächste Mal vorgemerkte Bahn zwischen Ronda und Algeciras entlangrattert.
Und dann ist es auch schon wieder so spät (über das Phänomen, wie hier irgendwer irgendwie im Laufe des Tages jeden Tag einen dicken Brocken Zeit wegschluckt, sinnieren wir noch; jeden Tag wieder) und wir müssen doch noch bei Gomez viele Pflanzen und ein paar Bäume kaufen, damit irgendwann mal was aus Karins derzeit noch im Frühstadium begriffener Obstplantage wird und janz janz schnell auch noch bei Aldi shoppen.
Morgen ist schon mein letzter Tag hier und am Samstag geht es heim – wie, wo und wann genau die Zeit geblieben ist bleibt, siehe oben, das große andalusische Mirakel.
* Fuente = Brunnen
** Ferretaria = Eisenwarenladen. Gibt es in jedem noch so kleinen Dorf.