Gestern in der Unterfahrt: Sun-Mi Hong Quintett

Von K-Pop hat jedermann und -frau schon einmal gehört, von K-Jazz eher nicht. Oder? Also, ich auf jeden Fall nicht. Seit gestern aber schon…

Was Schlagzeugerin und Komponistin Sun-Mi Hong und ihre ausgesprochen guten Mitmusiker Nicolò Ricci (Saxophon), Chaerin Im am Piano, Alessandro Fongaro am Bass und Alistair Payne (Trompete) an bis dato ungehörten Klangwelten schaffen ist beeindruckend. Und schön. Sehr schön. Sie spielen abwechselnd in der kleinen klassischen Formation (Klavier, Bass, Schlagzeug) und in der quasi großen Show-Band mit beiden Bläsern, jede Variante für sich neu und aufregend. Ich bin sehr fasziniert vom Trompeter Alistair Payne, der ein ganzes Bestiarium aus seinem Instrument winseln, heulen, wiehern, knurren, kreischen läßt – mein geschätzter Begleiter, Herr M., findet den Auftritt zu “gimmicky”. Ich bin halt leichter zu beeindrucken…

Ein sehr schönes Konzert und die Unterfahrt zwar gut, aber nicht brechend und atemberaubend voll. Hinreichend Sauerstoff steigert das Hörvermögen ungemein.

Wer mal reinhören mag:

Aufgeschnappt

Vor dem Aufbackregal beim Discounter versucht ein junger Mann seiner Begleiterin auf Englisch, einer Sprache, die für beide sehr offensichtlich nicht die Muttersprache ist, das Phänomen “Laugengebäck” zu erklären. Irgendwie “salty”, halt. Sie versteht hartnäckig nicht. Schließlich weiß er sich nicht mehr anders zu helfen, als ihr einfach ein Stück Breze in den Mund zu stecken.

Sie kaut, schluckt, die Augen beginnen zu leuchten und die beiden ziehen mit einer Tüte voller Brezn ab. Wieder jemand zur bayerischen Lebensart bekehrt.

Der Übersäzzer…

… dieser Filmbeschreibung dürfte künstlich sein und sich mit dem Beinamen “Intelligenz” geschmückt haben.

Mae Wests Ehemann war vielleicht weder groß noch dunkel oder gutaussehend, aber sein innerer Kopf war anscheinend nicht so kahl wie sein äußerer.

Gestern Abend in den Kammerspielen: “Mephisto”

Die erste Viertelstunde läßt Übles ahnen. Ein unvermittelter Einstieg in Schauspielergarderoben nach einer Vorstellung, es redet und rennt durcheinander, eine Schauspielerin zeigt nackte Brüste, man raucht und trinkt und spricht große druckreife und raumgreifende Sätze, die nichts mit gesprochener Sprache zu tun haben und wer die Romanvorlage von Klaus Mann nicht kennt, ist erst mal etwas verloren.

Dann aber dreht sich etwas, wie und wann genau, kann ich gar nicht sagen, und die Aufführung wird zum Theater. Regieanweisungen erklingen aus Lautsprechern, egal wie privat die Szene auch sein mag (Frühstückseier im Hause Höfgen). Vor allem das großartige sehr minimalistische Bühnenbild (Florian Lösche), beleucht- und rollbare Quader / Stelen, die mit einfachsten Mitteln große und kleinste Räume schaffen lassen und ein so noch nie gesehenes kongeniales Lichtdesign (Maximilian Kraußmüller) tragen die Atmosphäre. Und die Musik. Hach! Elias Krischke an Schlagzeug und Vibraphon. Hach! Ich frage mich immer noch, ob der das macht, weil er es kann oder ob eine versteckte Symbolik darin liegt, das einer wie seine Rollenfigur Hans Miklas, ein sehr früher Parteigenosse mit sehr niedriger Mitgliedsnummer, den Takt zu Höfgens Aufstieg schlägt? Aber ich greife vor.

Die Textfassung von Emilia Heinrich bleibt nah am Mann’schen Roman über den ungeliebten Schwager, Schauspieler, Intendanten, Opportunisten und Karrieristen Gustaf Gründgens. Regisseurin Jette Steckel will aber ein Stück inszenieren, das die Bedrohung der Kunst durch autoritäre Politik zeigt und so müssen Begriffe wie “Sondervermögen”, “Migranten” und “Goldenes Zeitalter” untergebracht werden, das Ensemble besonders divers (alle möglichen Hautfarben, Erwin Aljukić im Rollstuhl und auf Krücken), die ambivalente Sado-Maso-Beziehung zwischen Juliett, hier Julien (Bless Amada) und Höfgen (Thomas Schmauser) eine schwule Liebestragödie sein, Hitler eine MAGAkappe tragen und Flugblätter von einem Balkon geworfen werden (in München, Mann!) – als ob das Publikum nicht selber Transfer leisten könnte. Herrschaften, ey, keiner geht für eine über-drei-Stunden-lange Vorstellung ins Theater, wenn er lieber Seichtes hätte. Echt, die Leute sind doch nicht blöd.* Dann aber wird ein Hitlergruß kurz und klug konterkariert mit Danger Dans “Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.” Da musste ich sehr lachen. Danach verläßt die Inszenierung den Gehobenen-Zeigefinger-Modus und wendet sich stärker dem Individuum Höfgen zu. Das ist der Moment, in der sie großartig wird.

Auf dem Karriereweg Höfgens ist dies der erbettelte Wechsel von Hamburg nach Berlin. Dazu muss er der Frau an der Seite des Mächtigen (Johanna Elworths nervöse Lotte Lindemann ist zum Niederknien) schmeicheln und vor dem Intendanten kriechen (Edmund Telgenkämper). In der nächsten Schmeichel-Iteration erbettelt er sich wieder “seinen” Mephisto. Schmauser imitiert Gründgens in der Rolle nicht, nicht einmal die ikonische Maske, die er nur sehr kurz trägt. In der Schlüsselszene, in der nun der junge Miklas als Schüler zu Faust kommt, verschmiert er sie und ihm und sich das Gesicht. Fortan wird er Schminkereste im Gesicht tragen und zunehmend wächsener wirken.

Jetzt nimmt die Inszenierung Fahrt auf und es entstehen beeindruckende Bilder, wie das senkrechte Bett, in dem nicht nur zwei, sondern drei Menschen Platz finden müssen, das White-Facing Juliens, eine Tanznummer des inzwischen Ministerpräsidenten / Generals (Goebbels; gespielt von Edmund Telgenkämper, der auch den Intendanten und den Schwiegervater gibt), die in einer Stierkampfparodie mündet, bei der sich einem alles zusammenzieht. Danach trinken die Herren Cognac und die Dame fungiert als Stiefelknecht und dann tanzt der Mächtige zu Jazz, der “entarteten” Musik und es kümmert ihn einen Scheißdreck – alles pure Gewalt, ohne einen Tropfen Blut. Telgenkämper trägt als Ministerpräsident einen Uniformanzug mit Koppel und Breeches (Kompliment an Pauline Hüners Kostüme) und es ist der Rolle sehr zuträglich, dass er aussieht wie der neuerdings aufgepumpte Jeff Bezos.

Währenddessen toben im wächsernen Höfgen mehr und mehr Konflikte. Ja, er will Anerkennung, die des Publikums, die der Mächtigen. Aber er wäre auch gern ein guter Mensch und muss trotz seiner “Bemühungen” machtlos zusehen, wie das Regime zwei junge Wegbegleiter tötet, den Rechten und den Linken. Wie diese Szenen inszeniert sind und gespielt werden, ist herzzereißend. Dieser Höfgen dauert einen, man kann ihn aber auch nicht leiden. Hut ab vor Schmauser, der sich in diese Rolle wirft, als gäbe es kein Morgen.

Wo war ich? Ach ja, die Rahmenhandlung. Das Theater hat zur Geburtstagsfeier des Ministerpräsidenten eingeladen. Und wieder einmal geht das Licht im Zuschauerraum an, während Julien auf der Bühne einen Breakdance zelebriert und der bösartige Machthaber unterbricht und dann das Saalpublikum direkt anspricht. Das könne man ja wohl nicht haben, dass hier ein Schwarzer auf der Bühne herumzappelt und ein deutsche Publikum dazu applaudiere. Für diese Aussage fordert er Beifall ein. Nach meiner Schätzung ist ca. ein Viertel der Anwesenden der Aufforderung nachgekommen. Die anderen alle im Widerstand. (Mindestens.) Aus dem Off ein Jubelgedicht des Untergangspoeten Gottfried Benn auf den Führer, für das wieder zu Beifall animiert wird. Weniger, dieses Mal. Sehr beklemmende Momente.

Der Schluß ist gut und richtig, weil er keine Antwort gibt, sie nicht geben kann: Höfgens Exfrau (Linda Pöppel) konfrontiert ihn: „Es ist egal, wie viele Menschen du rettest. Du legitimierst hier Faschisten!“ Sein überforderter Blick geht zur Souffleuse. Sein letztes Wort: „Text?!“ Dann Vorhang.

Trotz ein paar Längen und unnötigen Übererklärungen ist Steckels “Mephisto” ein sehr guter Theaterabend geworden. Mit einem überragenden Ensemble: Bless Amada, Erwin Aljukić, Johanna Eiworth, Elias Krischke, Linda Pöppel, Thomas Schmauser, Maren Solty, Edmund Telgenkämper, Martin Weigel.

Das sich, nach dem Schlußapplaus, mit einer Ehrung vom jüngst verstorbenen Carl Hegemann verabschiedet. (https://www.youtube.com/watch?v=hr1LKqpwbI8)

Hingehen!

* Kurt Tucholsky hat dem anderen, dem blöden Publikum mit diesem Gedicht ein Denkmal gesetzt:

O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: «Das Publikum will es so!»
Jeder Filmfritze sagt: «Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!»
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
«Gute Bücher gehn eben nicht!»
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?

So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte…
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?

Ja, dann…
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
Ja, dann…
Ja, dann verdienst dus nicht besser.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 07.07.1931, Nr. 27, S. 32

Aufgeschnappt

Berstend vor Vaterstolz erzählt der Herr der Dame gegenüber im Vierer im Bus, dass sein “Sohn nun Amerikanismus” studiert.

Scheint, als sei das Angebot im Vergleich zu meiner Zeit breiter geworden.

R.I.P. Skype

Mir fehlt Skype. In Amerika war es die schnellste und simpelste Verbindung in die Heimat und den Rest der Welt und selbst knapp 20 Jahre später, in der Jetztzeit, noch immer die Verbindung zu anderen Skype-Getreuen. Ich weiß, Microsoft will, dass wir jetzt alle das neue und supermoderne Teams mit all seinen Features nutzen und ich tue das notgedrungen auch, aber nicht gerne. Weil, ich brauche die superduper neuen und supermodernen Features gar nicht. Mir langt ein bißchen messengen und ab und zu telefonieren.

Wenn das jetzt wie die Aussage einer technikfeindlichen alten Dame klingt, dann sei es so. Ich darf das.

Aus dem Vokabelheft

Mich unterhält man ja leicht. Mit Idiomen zum Beispiel. Heute habe ich ein besonders schönes. Was dem Deutschen Kraut und Rüben sind, ist dem Angelsachsen at sixes and sevens, also ein totales Durschenanner.

Das Lexikon sagt, dass ausnahmsweise einmal nicht Shakespeare für die Wortschöpfung veranwortlich sei, sondern der noch viel ältere Mr. Chaucer in seinem Stück “Troilus and Criseyde”, um 1380. Wurscht. Schön isses.

Gelesen: Josephine Tey – “The Daughter of Time”

Gerade habe ich den “besten Kriminalroman aller Zeiten” ausgelesen. Zu diesem Urteil über Teys letztes Buch aus dem Jahre 1951 kommt zumindest 1990 die Crime Writers’ Association (CWA). Nun ist sowohl das Buch wie auch seine Ehrung schon wieder eine Weile her, Grund genug, sich anzusehen, wie gut sie sich gehalten haben.

Aber erst einmal eine Danksagung. An Herr E. aus M., ohne den ich nicht einmal gewußt hätte, dass dieses Werk existiert. Das geht wahrscheinlich auch anderen so, mein neuer Online-Buchhändler bat nämlich um etwas Geduld, man habe keinen Bestand mehr und müsse erst wieder ein Exemplar drucken. Innerhalb von 24 Stunden, so viel Zeit habe ich allemal, kein Problem. Ob man das dann in einem derartig winzigen Font hätte machen müssen und auch noch so derartig schlampig redigiert? Ich hätte ihnen für bessere Qualität auch mehr Zeit gegeben. Gerne sogar. Aber nun ist es halt so und Buch und ich haben einen netten Nachmittag in gutem hellen Sonnenlicht miteinander verbracht.

Worum geht es? Inspector Grant (drunter gehts nicht) von Scotland Yard liegt zu absoluter Bettruhe verdonnert im Krankenhaus und ihm ist fad. Auf den ersten paar Seiten zeichnet Tey ein paar ausnehmend hübsche Porträts von Betreuungspersonal und Besuchern, rechnet nebenher schön giftig mit dem Literaturbetrieb und der britischen Nachkriegs-aber-eigentlich-immer-noch-gerne-Kolonialmacht-sein-wollenden-Gesellschaft ab und dann kommen wir zum eigentlichen Thema. Der Mann braucht Ablenkung. Eine Beschäftigung für sein Polizistenhirn.

Und weil ihm neben analytischen Fähigkeiten auch die Gabe gegeben ist, im Gesicht eines Menschen dessen Charakter zu erkennen (jaha, ist blödsinnig, aber halt mal die Prämisse), bringt ihm die Schauspielerfreundin eine Auswahl historischer Porträts ans Krankenlager. Unter anderem das Richards des Dritten. Den kennen wir alle, das ist der bucklige Shakespeare-Schurke mit “Winter unseres Mißvergnügens”, “Ich bin gewillt, ein Bösewicht zu werden” und dem Pferd. Der alle umbringt, die seiner Thronfolge im Wege stehen, nicht zuletzt seine beiden blondgelockten Neffenprinzen im Tower von London. Dabei, sagt Grant und sagen alle, denen er es zeigt, sieht er auf dem Porträt eigentlich gar nicht aus wie ein Mörder.

Das ist für den Inspector Grund genug zu “ermitteln” und er beginnt nun mit Hilfe eines jungen Studenten der Geschichte aus den Kolonien (damit ist Amerika gemeint, was Tey noch einmal für einige sehr schön gemeine Bemerkungen zum Kontrast zwischen dem alten und dem jungen Land und seinen Menschen nutzt) Fragen zu stellen und Fakten zusammenzutragen. Die der junge Mann alle brav beibringt.* Sie kommen nach viel Lektüre in altem Papier zu dem Schluss, dass die Morde Richard nicht nachzuweisen sind und daher die Unschuldsvermutung gilt. Wer mehr wissen will, befrage die Richard III Society, ein wunderbar exzentrisches Projekt.**

Das absolut unoriginelle Meta-Fazit: “Truth is the daughter of time, not of authority”, ein Zitat von Sir Francis Bacon, aus dem Tey den Titel entlehnt hat. Im Deutschen ist daraus “Alibi für einen König” geworden. Ich möchte das nicht kommentieren.

Nein, der “beste Kriminalroman aller Zeiten” ist es nicht. Das Buch hat inzwischen ein Dreivierteljahrhundert auf dem Buckel (hihi), dennoch ist es immer noch scharfsinnig und eine vernügliche Lektüre. Es schadet nicht, wenn man Freude an Geschichte hat und am Barden obendrein. Trifft auf mich beides zu und mich treibt nun die Frage um, was Shakespeare davon hielte, dass sein Theaterstück bis heute unser Bild von Richard dem Dritten prägt.

Wer mein Exemplar haben möchte, gebe Bescheid.

* Tey verwendet das beliebte Motiv des “armchair detective”, der statisch bleibt oder bleiben muss und andere für sich laufen läßt.

** https://richardiii.net/richard-iii-his-world/reputation/crimes-alleged-by-shakespeare/

Das Mitgliedschaftsjahr der Richard III Society beginnt am 2. Oktober (König Richards Geburtstag). Wenn Sie der Society zwischen dem 1. August und dem 2. Oktober beitreten, ist die Mitgliedschaft bis zum 2. Oktober kostenlos.

Werte Spiegelredaktion

“Urteil”? Echt jetzt? Hätte es “Bewertung” nicht vielleicht auch getan? Oder “Ergebnis”? Wenn es schon eine Produktwerbung im redaktionellen Teil sein muss, geht es dann nicht wenigstens eine Nummer kleiner?

Do it yourself

Vorhin beim Gemüsetandler auf dem Markt. Nein, Avocados für den Salat heute seien schon aus. Aber diese hier könne er mir anbieten:

Ja, zefix. Muss man denn heutzutage alles selber machen?