
Danke, James. Habe mir selten so aus der Seele gesprochen gefühlt.
Du bist nicht allein!
Spiegel Online hat einen Leserbrief gelöscht, der falsche Tatsachen verbreitet. Kann man machen. Soll man machen. Kann man auch mit einem Kommentar versehen, dass die Inhalte geprüft und für falsch befunden wurden. Alles okay.

Was ich allerdings aus dieser Richtigstellung gelernt habe, ist, dass es den Begriff “Depublizieren” gibt, s. a. https://de.wikipedia.org/wiki/Depublizieren. Die Negation einer Veröffentlichung.
Das schmerzt nicht nur die Linguistin in mir.
Wiewohl sehr hochgejazzt, ist das Buch ein Erstling. Das merkt man. Wer es lesen will, gehe nun hin in Frieden und tue das. Wem meine Spoiler als Lektüreersatz reichen, lese weiter.
Die Ausgangsidee ist großartig. Was, wenn die britische Regierung ein Zeitportal er-/gefunden hätte (mit dem Eigentum anderer Leute nimmt man es als Kolonialmacht eh nie so ganz genau) und nun testweise Menschen aus der Vergangenheit in unsere Zeit brächte? Zum Beispiel eine Dame aus der Zeit der großen Pestepidemie in London, einen Leutnant aus der Schlacht von Naseby, eine Dame aus der französischen Revolution, die gleich nach ihrem Gatten guillotiniert wurde, einen Teilnehmer (Offizier, natürlich) an der tragisch gescheiterten Franklin-Expedition in die Arktis und einen Soldaten (Offizier, klar) aus einem Graben an der Somme? Alle sind in “ihrer” Zeit tot, bringen also das Raum-Zeitkontinuum nicht durcheinander, wenn sie in unserer Zeit am Leben sind, was, wie wir als Kenner wissen, das A&O bei Zeitreisen ist.
Soweit, so sehr schön. Damit die Zeitreisenden “Expats” nun lernen, im 21. Jahrhundert zurechtzukommen, gibt ihnen das titelgebende Zeitministerium sogenannte “Brücken” an die Seite, mit denen sie zusammen wohnen und leben und lernen sollen.
Die Ich-Erzählerin haben wir schon mit dem ersten Satz kennengelernt, das nächste buchbestimmende Thema gleich mit ihr. Sie ist nämlich die sehr weiß wirkende (merken, wird wichtig) bi-racial Tochter einer kambodschanischen Mutter und eines englischen Vaters, hat die Pol-Pot-Traumata der Vorgeneration geerbt (merken, wird auch wichtig), mehrere Interview-Runden im Ministerium bestanden und wird nun “Bridge” des Arktis-Expeditions-Teilnehmers Commander Graham Gore (“1847”).
Bradley milkt den Kulturschock des viktorianischen British-Empire-Offizier und Gentleman, der nun zum Undenkbaren gezwungen mit einer jungen unabhängigen unverheirateten Frau unter einem Dach zusammen wohnt, bis auf den letzten Tropfen aus. Dabei gelingen urkomische Szenen, manche geraten aber auch arg bedeutungsschwanger und unterschwellig wird schon “mehr” angedeutet. Ja, genau, “mehr”, wie in: sie werden irgendwann Sex haben. Aaaarrggghhh!
Nebenher entpuppt sich der junge Offizier aus dem 1. Weltkrieg (natürlich) als schwul, ist die Pestlondonerin eine pansexuelle Internet-Native mit exzentrischem Geschmack in Kleidung und Leben usw. usf., und es werden Kolonialismus, Sklavenhandel, Rassismus, Überwachungsstaat (implantierte Chips!), Kapitalismus, Spotify, Nikotinabusus, Rechtsruck, kochende Männer, der Untergang des Empire, etc. sowie ein bunter Strauß an Traumata verhandelt – die Keulen, mit denen hier auf die Leserschaft eingeprügelt wird, sind recht dick. Natürlich gibt es auch Schurken und es ist nicht alles eitel Sonnenschein im Ministerium, Maulwürfe, Verräter, Spione dreuen dem jungen Glück den Garaus machen zu wollen.
“Junges Glück”? Aber ja. Der Commander und seine junge Brücke haben einander gefunden und nach dem ersten Kuß geht alles ganz schnell. Zunächst unterweist sie den Viktorianer im Cunnilingus, alles schwer lustvoll, dann kommt es unter Hecheln, Keuchen und Stöhnen zum leidenschaftlichen ersten Mal. So leidenschaftlich, man denke, dass halbmondförmige Abdrücke von Fingernägeln auf der Haut noch Stunden danach davon zeugen. Jeder nachfolgende Geschlechtsverkehr (und es sind deren viele) endet in beiderseitigen multiplen Orgasmen. Es ist zum Fremdschämen und erinnert sehr an die furchtbaren Billigromänchen an der Supermarktkasse.
Dann muss die Geschichte nur noch zu Ende gebracht werden. Dabei kommen Waffen zum Einsatz, eklige Morde, Dritter-Mann-Verfolgungsjagden in der Kanalisation sowie Beziehungsdrama, eine große Enthüllung und ein zuckersüßer Alles-ist-doch-gut-Schluß und det Janze kann nu vom Blatt weg verfilmt werden. Die BBC hat bereits eine sechsteilige Miniserie in Auftrag gegeben.
Man kann das lesen und vergnüglich finden. Mir würde jedoch nichts fehlen, wenn ich die Zeit anders verbracht hätte.
Mein Exemplar ist zu haben.
“Kein Problem”, sagt die Dame vorhin an der Rezeption beim Doktor. Das kleine Mißverständnis, ob ich zu früh dran sei oder die Praxis den Termin falsch notiert habe, werde man gleich klären. Schließlich seien sie hier alle “erfahrene Hasen”.
PS: Ich hatte recht. Mußte aber trotzdem warten.
So ein schönes Buch! Vielfach-Hach!
Ganz große Fabulierkunst vom Sprachartisten Haas, mit Einsprengseln, die den studierten Germanisten beim Spaßhaben zeigen. Und beim Wortschöpfen. Pars pro toto mein aktueller Liebling: “Versöhnungsrührung”, also die kurze Zeitspanne, in der man vergibt und Vergebung erhält und bereit ist, die aus diesem Anlaß gegebenen Versprechen einzuhalten.
Ich will gar nichts verraten und jede und jeden selbst in das persönliche Lese-… ja was? Abenteuer?, Phantasiereise?, Erlebnis? entlassen. Am besten gleich.
Lesen! Lesen! Lesen!
Ich bin jedes Mal aufs neue irritiert, wenn ich im Internet von einer Maschine aufgefordert werde, nachzuweisen, dass ich ein Mensch bin.
Geht das nur mir so?
Mein Termin heute Vormittag hat länger gedauert als geplant und nun bin ich unterkoffeiniert und unterzuckert und Hunger habe ich auch. In diesem Zustand werde ich leicht schwer grätzig.
Was ein Glück, dass ich schon damals bei der Wohnungssuche darauf geachtet habe, dass hier Menschen verschiedener Nationalitäten mich mit ihren Landesküchen aus einer solchen Notlage befreien können. Pho? Nein, danke. Heute nicht. Ein Falafel-Dürüm mit alles (außer Zwiebeln) und scharf? Das isses.
Flugs wirft der Herr von Feinkost Başak ein paar Falafel in die Aufwärmschale (nach einem prüfenden Blick auf mich und meine gefletschten Fangzähne legt er noch eins nach), grillt den Fladen, bringt Soßen aus und belegt mit allem, was die Salatschalen hergeben (außer Zwiebeln) und streut ordentlich scharf drauf. Einmal gekonnt wickeln, dazwischen den Zahlungsvorgang erledigen, hah! Gleich gibts Essen.
Oben rasch aus den Stiefeln geschlüpft, Jacke und Schal aufgehängt, einen Teller geholt (soviel Tischkultur muss sein), Kiefer ausgehängt und abgebissen. Einen großen Mundvoll soßigen Salates im Teigmantel gekaut und geschluckt. Und nochmal. Jetzt müßten aber die heißen Falafel doch bald mal kommen? Oh Mann! Kein Falafel. Nirgends. Oh Mann, Osmane!
Also wieder in Stiefel, Jacke und Schal. Meine Falafel, stellt sich heraus, sind immer noch in der Mikrowelle. Das passiert uns aber nicht noch mal. Sobald das Brot geröstet und die Kichererbsenklöpschen wieder warm gedreht sind, machen wirs im zweiten Anlauf richtig. “Falafel zuerst!”
Afiyet olsun!
Da will man weg von Jeff Bezos und den lokalen Buchhandel unterstützen und sucht ihn also auf, um den neuen Haas zu erwerben. Wird dort als erstes zum Ostertisch geschickt. Sieht sich gezwungen, zu spezifizieren. “Wolf Haas”. “Woholf Ha-as”. “Wackelkontakt”. “Mit dem knatschgelben Einband”. Grad, dass man nicht die ISBN aufsagt.
“Ah, das”, erinnert sich der Buchhändler, das habe man an der Kasse stehen gehabt, bis sich die Leute beschwerten, wegen der verwaschenen Schrift. Das, merke ich an, wollte ich gar nicht wissen. Ich will nur ein Exemplar kaufen, nicht daran denken, wie einfach das bei Jeff Bezos geht und hier wieder raus. Man habe, so der Herr Händler, eines im Fenster, das werde er jetzt für mich holen. Verschwindet. Kommt nach ca. 10 Minuten wieder. Da, befindet er, sei ja wohl der Bestand falsch. Im Fenster sei es nämlich nicht, ob ich es denn inzwischen im Laden gefunden hätte. Es sei ja doch “recht auffällig”. Nein habe ich nicht und verbiete mir jeden weiteren Gedanken an Jeff Bezos.
Dann, sagt the Händler-Man und seufzt resigniert, dann werde er das Buch eben für mich bestellen. Am Samstag gegen Mittag könne ich es abholen. Aber nicht vor 11:30 Uhr und nur bis 12:30 Uhr, dann müsse auch ein Buchhändler einmal ein Recht auf ein Wochenende haben. Mich beschleicht das Gefühl, er erwartet, dass ich für die vielen Umstände, die ich ihm gemacht habe und noch mache, nun angemessen um Entschuldigung bitten sollte.
Ich hingegen denke, dass ich nunmehr den Hugendubel-Abschiedsgeschenk-Gutschein meiner Hunsrücker Kollegen einlösen und sowas von auf den lokalen Buchhandel pfeifen werde.
Tirili.