Zwei Wochen, nachdem ich die Fahrt gebucht hatte, ändert die Bahn ihre Meinung. Nix da mit gemütlich um 09:20 abfahren, um zwanzig nach acht will sie auf der Schiene sein. Auch recht, dann halt den Wecker statt auf Ferien- auf Arbeitstagaufstehmodus stellen. Meine leichteste Übung.
Am Bahnhof angekommen, packe ich meine Bahn-Bullshitbingo-Karte aus. Hah! “Geänderte Wagenreihung”. Schon kann ich mein erstes Kreuzchen machen sowie mich selbst nebst Gepäck auf den Weg nach ‘Abschnitt G’, “außerhalb der Halle”, wie die Lautsprecherstimme mitteilt, gefühlt ungefähr an der Pasinger Stadtgrenze.
Wieder eine Durchsage, der Zug fahre nun ein. Die Passagiere in spe tauschen ungläubige Blicke. Er wird doch nicht? Etwa pünktlich? Nein. Nicht doch. Wird er nicht. Die Durchsage wird vielmehr noch mehrfach wiederholt, die Reisenden fassen sich wieder und setzen das Typisch-Bahn-Mundwinkel-weit-unten-Resignationsgesicht auf. Dann kommt vollkommen überraschend ein Zug und der Mann mit dem Lautsprecher sagt, die Leute sollten sich mal ranhalten beim Einsteigen, man sei schließlich spät dran.
Alle drin? Losgefahren. Man habe, teilt der Zugführer mit, 20 Minuten Verspätung, weil… weil der “Zug verspätet bereitgestellt” wurde. Hah, again! Das ist einer von den eher außergewöhnlichen Gründen und gibt auf meiner Bingokarte doppelte Punktzahl. Keine Viertelstunde später wegen einer “Signalstörung” auf offener Strecke herumstehen, zählt wieder nur einfach. Obwohl? Muss nochmal im Regelbuch nachschauen, wie “Signalstörung eines vorausfahrenden Zuges” zu werten ist. Derweil kommt die E-Mail, dass der Zug am Hauptbahnhof München zehn Minuten Verspätung “erhalte”. Und wieder frage ich mich und die Welt: von wem nur? Und cui bono, hah?
Den ersten planmäßigen Halt auf dieser Reise erreichen wir mit einer “Verzögerung von 18 Minuten Verspätung”. Das gibt’s nicht auf meiner Karte, was soll ich jetzt ankreuzen?
Hätte ich mich mal nicht beschwert. Eine weibliche Stimme informiert wenige Augenblicke später: “Die Abfahrt verzögert sich wegen einer ‘technischen Untersuchung’ am Zug.” Wobei die deutlich hörbare Bahnhofsdurchsage von einer “Verspätung wegen verspäteter Bereitstellung” spricht. Mann, wenn die sich nicht mal darüber einig werden können. Ich mache mal zwei Kreuzchen.
Wir tuckern wieder durch blühende Landschaften (Rapsfeld an Rapsfeld an Rapsfeld). Die einst so prominente Anzeige, wie schnell der Zug gerade unterwegs ist, scheint im dritten Untermenü verschwunden zu sein. Aber auch in gemäßigtem Tempo erreichen wir irgendwann mitsamt unserer Verspätung den Bahnhof, an dem die Freundin zusteigen soll. Die Freundin, die sich vorher noch Sorgen wegen der knappbemessenen Umsteigezeit gemacht hatte. Wäre nicht nötig gewesen….
Sie ist da! Und der vorausschauend zusätzlich reservierte Platz neben ihr noch frei. Den restlichen dicken Brocken Fahrt verbringen wir in angeregtem Gespräch und fallen kein bißchen auf, dorten im Familienabteil. Sie war halt schon immer der vorausschauende Typ.
Komplett angekreuzte Bingokarten schafft man so natürlich nicht. Aber mir bleiben ja noch viele Stunden Rückfahrt…