Man könnte Old Town schon ein bißchen schrecklich finden. Im alten Pueblo San Diego, mit Kirche, Schule, General Store, Apotheke, Sheriff’s Office (montags geschlossen, das wird die bösen Buben seinerzeit recht gefreut haben), müssen arme kostümierte Menschen Touristen was vorschmieden, Seifen ziehen oder lustige Mitmachsachen für Kinder betreiben. Jedes zweite Haus ist ein Souvenir-Shoppe oder eine Taqueria oder andersgeartete Schnellfreßbude.
Man kann Old Town aber auch ganz hübsch finden, denn es ist ein heller Frühlingstag, die Touristendichte ist gering, vor jedem in bunten und fröhlichen Farben gestrichenen Haus gibt es schön angelegte Gärten und es blüht wie verrückt. Bougainvilleen und andere Wunderblumengewächse, Geranien und Rosen in allen Farben, Fuchsien- und Obstbäume und alles, was gerade in den Nutzgärten wächst, vor allem Kürbisse und Bohnen sowie Kakteen, teilweise so groß wie ein kleines Wäldchen. Uns macht es Spaß, in der Sonne herumzuschlendern und in dem Kommerztrubel die echten historischen “Sites” aufzuspüren (merke: nicht überall wo Museum drauf steht ist eins drin – manchmal ist es einfach ein Andenkenladen, der neben den T-Shirt-Ständern ein verstaubtes Alibiartefakt auf der Fensterbank liegen hat). Schluß mit lustig: jetzt gehen wir zu den Mormonen. Die betreiben im ersten Backsteinhaus auf kalifornischem Boden eine Erinnerungsstätte für das “Mormon Battalion”.
Sister Hernandez im historischen Kostüm führt uns durch eine hochprofessionelle Multi-Media-Schau: Wir marschieren mit 500 Männern und Frauen, die sich – im Gegenzug für die Zusage auf Land und Religionsfreiheit – “freiwillig” zur US-Army melden. Sie sollen im mexikanisch-amerikanischen Krieg (1846-48) kämpfen und müssen dafür erst einmal die 2000 Meilen von Council Bluffs, Iowa bis San Diego, Kalifornien überwinden. Zu Fuß, ohne angemessene Ausrüstung, ohne hinreichende Verpflegung. Zum Glück gehen sie mit Gott, der bei Hitze Bächlein fließen läßt und Beeren gegen den Hunger. Ein verschollener Knabe taucht nach 10 Tagen unversehrt wieder auf und sie feuern ihre (veralteten) Waffen nur einmal ab, in der “Battle of the Bulls”, gegen Rindviecher. Ein Wunder am nächsten. In der Photo Gallery hier kann man die einzelnen Stationen sehen http://bit.ly/i2CX0U – ich weiß immer noch nicht recht, was ich davon halten soll. Wir bestellen jedenfalls weder für uns noch für Freunde oder Verwandte “The Book of Mormon – Another Testament of Jesus Christ. Written by many ancient prophets it is a record of God’s dealings with the ancient inhabitants of the Americas etc. etc.”. Auch auf das “Original-Mormon-Batallion-Photo” verzichten wir, man möchte schließlich nicht ständig per e-mail missioniert werden. Schließlich lassen sie uns ziehen, mit “Godspeed”, aber unbekehrt.
Das nächste, ebenfalls um 1860 herum erbaute Haus ist eine Synagoge, dann kommt ein Straßenzug gesäumt von viktorianischen Villen und kündet vom Reichtum der Eisenbahnbauer, noch ein Abstecher in die katholische Missionskirche und jetzt haben wir Hunger. Mexikanisch oder Mexikanisch? Wir nehmen Mexikanisch, ohne Ritas (nicht ohne neidvolle Blicke auf die Nachbartische, wo schon wieder große Kelche mit Salt Rim serviert werden), holen den Mustang aus der Day Care ab und lassen den Tag im Stadtpark mit Blick auf den Jachthafen bei einem Kaffee ausklingen.
Als nächstes Reiseziel haben wir uns Vancouver ausgeguckt. Oder Mexiko. So schlecht ist das Essen gar nicht.