Sand und Steine

Früh am Morgen hat Christoph eine Erscheinung, nämlich ein weißes Kaninchen (dem wahrscheinlich ein kleines Mädchen in viktorianischer Kleidung nachläuft, doch, doch, ganz bestimmt). Neben der Hotel Lobby wird das Schofar geblasen und kurz darauf erklingt aus dem “Christian Gathering Room” Instrumentalmusik, auf die sich wunderbar “Highway to Hell” singen läßt. Sieht aus als wäre Ostern. Wir fahren wohl besser. Jetzt. Sofort.

Dach zu? Dach auf? Wir sind noch naiv genug zu glauben, dass die Entscheidung bei uns liegt. Es ist jedoch so, dass die Hebel extrem erschütterungsempfindlich sind, und kalifornische Straßen eine recht hohe Schlaglochdichte aufweisen. Nach ein paar Meilen wissen wir: wenn’s zieht, einfach nach oben greifen, Hebel wieder justieren. Nach ein paar Meilen mehr sind wir darin so gut geworden, dass wir erwägen, uns für die nächste Weltermeisterschaft im Synchronhebeln anzumelden.

Dach zu erweist sich übrigens als gute Entscheidung, denn es hat angefangen zu regnen. Moment mal.  Es regnet? Ende April in Südkalifornien? Die spinnen doch! Während der nächsten 100 Meilen versichern wir uns gegenseitig abwechselnd, dass es “da hinten schon viel heller” aussieht. Wir wollen ein wenig den Highway Number One langfahren (am Pazifik und ellenlangen Militärbasenkomplexen vorbei) und dann ab Carlsbad Richtung Nord-Osten. In ein paar Stunden sollten wir im “Anza Borrego Desert State Park” eintreffen, dessen Website schon seit Wochen zur Eile antreibt “HURRY! DON’T WAIT! THE DESERT IS BLOOMING!”

Irgendwann unterwegs haben die Wetterverantwortlichen ein Einsehen. Wir sind “da hinten” und die Sonne scheint wieder auf Gerechte und Ungerechte, für Monstertruckdriver ebenso wie für uns Cabriofahrer. Wir sind inzwischen auf dem “Ronald Packard Pkwy”, die Gegend ist wahrhaft DA HINTEN, zunehmend dünner besiedelt, die Billboards künden von den Problemen der Eingeborenen. Wahlweise soll man den HErrn erblicken (“Find Jesus Now!”), sich ein Weib suchen (http://iwantagirlfriend.org/) oder unglaublich viele Pfunde verlieren (http://www.1-800-get-thin.com/). (Das Schild ist ganz lustig, auf der einen Seite reckt sich ein runder Bauch in die Landschaft, auf der anderen ist die abgenommene Delle ausgespart.) Wir erwägen bei dem Schild “Church for Sale” kurzfristig die Gründung einer Religion, sehen nach einigem Überlegen aber doch davon ab: man möchte in der Gegend nicht einmal tot über dem Zaun hängen, geschweige denn eine Herde gläubiger Schäflein bespaßen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, warum man hier wohnen wollen würde. Außer vielleicht, um eine Meth-Küche zu betreiben. Oder eine Miliz zu trainieren. Bestimmt sind unter den Häusern überall Bunker mit Wasser- und Lebensmittelreserven für den Tag, wo außerirdische Invasoren landen oder ein Demokrat Präsident wird.

Auf einmal Elefanten. Und Nashörner, Gazellen, Bisons, sogar Pferde. Bei näherem Hinsehen: alle aus Blech, alle rostig, kilometerlang über die staubige Einöde am Straßenrand verteilt. Wozu einen Langeweile nicht alles treiben kann.

Hier geht offiziell die Wüste los. Versprengte Kakteen und Bodendecker recken schüchtern Blütchen in die Luft (ich hatte mehr erwartet); mehr trauen sie sich nicht, da sie vom starken Wind gleich wieder verblasen werden. Es wird zunehmend bergiger und schluchtiger, wild, rauh, öde, unwirtlich, wüst und – wann haben wir eigentlich das letzte Auto gesehen?

Wo wir schon mal da sind, könnten wir eigentlich weiter zum Salton Sea fahren, einem Salzsee, direkt im San Andreas Graben, knapp 70m unter dem Meeresspiegel. Die Strecke führt durch eine ausgesprochen schöne Landschaft. Der See selbst scheint ein eher spröder Typ zu sein und macht einem die Anfahrt über Dirt Roads nicht gerade leicht, außerdem stürmt es wie verrückt! Alles ist voll Staub und Salzkrusten, wir hätten das Dach vielleicht ein bißchen früher zumachen sollen… Wir trösten uns damit, dass wir vollkommen umsonst ein Totes-Meer-Peeling bekommen haben. Andere Leute zahlen ihren Kosmetikerinnen Unsummen für so was (irgendwie muß man sich’s schönreden). Bei unserem Spaziergang bis fast an’s Ufer (leider kurz davor tiefe Gräben und ein dichter Schilfgürtel) müssen wir uns so dermaßen gegen den Wind stemmen, dass uns fast die Luft wegbleibt. Wir steigen wieder ins Auto mit Sand in Augen, Nase, Ohren, überall und unsere Haare sehen aus wie die zerzausten Bäume und ignorieren einen zaghaften Kämmversuch im wahrsten Sinne des Wortes standhaft.

Nun aber auf den Highway N° 8 nach San Diego. Das erste Drittel der Strecke noch bei schwindendem Tageslicht, an Geröllbergen (kein einziger Stein mehr als faustgroß) vorbei, auf über 3000 Fuß hoch und dann wieder runter. Weitere über zwei Stunden Fahrt, die Christoph heldenhaft meistert. Wir sind hungrig, durstig, verdreckt und fragen an der Hotelrezeption nach Restaurantempfehlungen. “Do you like Mexican Food?” “Well, not particularly.” Ooops, dann werde es schwierig. Es gäbe noch einen Italiener in Fußentfernung, aber der habe schon zu. Und einen Japaner, für den seien wir aber auch zu spät. (Es ist schließlich, wenn auch nah an Mexiko, immer noch Amerika und der Amerikaner geht um 6 abends essen, damit er rechtzeitig zur Primetime wieder daheim ist. Deswegen ist es hier richtig schwierig, abends um 9 noch irgendwo eine warme Mahlzeit zu bekommen.) Wurscht. Wir gehen einfach mal los, nach Old Town, und dann schau ma moi. “Your choice of Restaurant is: Mexican, Mexican or Mexican.” Bei José, Zum Coyoten oder im El Fadango – überall spielen sie die Musik meines Nachbarn (wie gut, dass Francisco mich dahingehend schon abgehärtet hat), hängen bunte Fähnchen in die mit bunten Lichtern beleuchteten Innenhöfe und servieren Reis und Bohnen.

Wir gehen zu “Fred”, bestellen erst mal “Ritas” (um “Magarita” auszusprechen ist man nach den Kübeln, in denen Tequilla hier ausgereicht wird, ohnehin zu betrunken) und dann was zu essen und finden – nachdem wir die erste halbe “Rida” auf nüchternen Magen getrunken haben – alles gar nicht so übel. Olé! Ich bestehe übrigens vehement darauf, dass mich weder Reis, Bohnen noch Rita fertiggemacht haben. Das muss an dem Eimerchen “Chocolate Diavolo” gelegen haben.

Wenn die Tante morgen ihren Völleschmerz überwunden haben wird, erzählt sie euch von dem letzten Tag des Kurztrips in San Diego.

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