Gestern Abend im Residenztheater: “Lapidarium”

Ohren gespitzt und zugehört: der Sprachakrobat Rainald Goetz hat ein neues Stück geschrieben. Es geht irgendwie darum, dass das alte Dietl-Achtziger-Jahre-Nostalgie-München wieder leuchten soll, und es werden alle aufgerufen, die im hiesigen Künstlerpantheon Rang und Namen sowie ein Haus am See haben, vom Hausgott Dietl selbst über Polt und Achternbusch bis Hader (dem wird, das machen wir hierzulande gern, seine österreichische Herkunft nicht nachgetragen), Bierbichler und natürlich Kroetz, der in dem Film nach dem Dietl/Goetz-Drehbuch den gealterten Baby Schimmerlos* spielen wird, spielen muss, weil “der alte Mann dem Kroetz besonders schön ins Gesicht gegraben” ist. Goetz ist auch schon siebzig, da beschäftigen einen Altern, Leben und Tod, dazu habe er seinem Publikum, so die Vorankündigung, etwas zu sagen. Und er hat sich die neue Hausregisseurin des Residenz-Theaters, Elsa-Sophie Jach für die Umsetzung der Uraufführung gewünscht. Jach hat neulich erst diese wunderschöne Romeo-und-Julia-Inszenierung (s. https://flockblog.de/?p=51365) abgeliefert, die kann was. Gute Voraussetzungen.

Muß ja nicht unbedingt was heißen.

Als es losgeht, stehen schauspielende Menschen in eigenartigen weiß-blauen Kostümen auf der Bühne hinter Fadenvorhängen (immerhin, keine Fliegen) und für viele lange Minuten wird betrieben, was die Kritikerin der Süddeutschen Zeitung eine “assoziative Namedropping-Veranstaltung” nennt. Hätte ich nicht treffender sagen können, danke, Frau Dössel. Dies wiederholt sich im Programmheft, zwei Seiten lang nur Namen – wäre ich die Familie des Baumes, der dafür gefällt wurde, ich würde klagen. Aber das nur nebenbei. Inzwischen sind wir im dritten Bild und die großartige Pia Händler spielt/rezitiert eine schwülstig-feuchte Altmännergeschlechtsaktsphantasie, in dem Widerlichkeiten wie “die Vagina mit der Seele suchen” vorkommen. Wir sitzen am Rand und müssen zum ersten Mal aufstehen, weil die neben uns jetzt, jehetzt gehen. Zum ersten Mal schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass es wohl mindestens einen guten Grund gibt, warum die Aufführung ohne Pause angesetzt ist. Ohne Pause. Oi weh.

Die Schauspieltruppe ist inzwischen zum Chor mutiert und sagt, nunmehr mit blonden kurzen Strubbelfrisuren, Hashtag-Sentenzen auf (nicht fragen, einfach ertragen) und Matthias Döpfner muss besprochen werden und Benjamin Stuckrad-Barre und “Noch wach?” und der tote Mentor Michael Rutschky und sein langes Sterben, irgendwie grätscht auch Harry Styles rein und es ist alles ganz furchtbar unnötig und arg lang und nicht “hilariousmäßig”, wie Goetz behauptet. Da! Abwechslung. Hinter uns raschelt und ruschelt regentaugliche Kleidung – das Paar ist fluchtbereit angekleidet und tauscht sich, gut vernehmbar flüsternd, über den besten Zeitpunkt aus, hier rauszukommen. Er ist jetzt. Jehetzt.

Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass wir ungefähr zwei Drittel schon geschafft haben und dass ich wieder aufstehen muss, um die nächsten rauszulassen, nutze ich, um einen Blick nach hinten zu werfen. Der zu Anfang gut besetzte Zuschauerraum weist arge Lücken auf, das Türenklappern will gar nicht mehr aufhören. Inzwischen wird auf der Bühne mit Farbe umeinander gebatzelt**, die Männer spritzen (wie symbolisch) auf eine Plastikwand in Müllsackblau (für die Vornehmeren unter uns: Yves-Klein), die Frau glättet mit einer Walze die Flecken zu einer weißen Fläche. Das soll mir bestimmt was sagen, ich weiß aber nicht, was und es ist mir so dermaßen wurscht. Auch, warum nun einer in Giftgrün die Wörter “Death Work Life Death” aufsprüht – wie mir, nur um das endlich mal gesagt zu haben, Goetzens denglische Kunstsprache, neben dem ganzen Schwachsinn hier, gründlich on the cookie geht. Dann muss Pia Händler wieder an den Bühnenrand treten und mit toternstem Gesicht sagen: “We kill the flame”. Jetzt kommen eh schon kaum Frauen vor in dieser sehr sehr seltsamen Männerwelt und dann so ein Satz. Warum nur? Immer wieder klappern Türen.

Wir kommen nun zum Suizid. Warum auch nicht? Den bespricht sehr ausführlich Vincent zur Linden, auf einem Pfad voll schwarzer Steine und trägt dazu ein Totenhemdchen aus Papier. Es beginnt zu regnen (Kompliment an die Bühnenbauer). Aus dem Wet-Hemderl-Contest geht ein nunmehr nackter Vincent zur Linden hervor, der großen Schwachsinn aufsagen muss, während sein hübscher Körper weiter sanft beregnet wird (ich hoffe, das Wasser war wohltemperiert). Die Dame vor mir nimmt jetzt, jehetzt ihre Brille ab, faltet sie vorsichtig ins Etui und verstaut es in ihrer Handtasche.

Wie lang denn noch? Ah! Da! Gerade hat einer auf der Bühne gesagt: “Es ist vorbei.” und aus der Reihe hinter uns wie aus der (Selbstmörder-höhö-)Pistole geschossen die Antwort: “Ja, bitte.” Oh, Götter, die Scheinwerfer gehen aus: es ist vorbei.

Der Applaus kommt zögerlich, aber dann doch, weil: die Schauspieler können ja nichts dafür und haben wirklich ihr bestes gegeben. Doch, denen darf man klatschen. Muss man sogar. Wer so einen Unfug lernen muss, und spielen, und ohne Hänger aufsagen. Doch. Sie waren gut. Klatschen. Aber auch nicht zu lang. Das noch verbleibende Publikum hat jetzt nämlich Hofgang.

* Es handelt sich hierbei um eine Referenz aus der Kategorie “Fragt Oma”. Baby Schimmerlos, gespielt vom jungen Franz-Xaver Kroetz mit Föhnfrisur war in der Dietl-Serie “Kir Royal” (das ist ein Mixgetränk aus Cassis und Champagner) ein rasender Klatschreporter, dem Münchner Original Michael Graeter nachempfunden. Wir sprechen von einer Zeit ohne Internet, in der es in München fünf verschiedene Tageszeitungen gab, und wenn man möglicherweise drinstand, sich nachts die druckfrischen Ausgaben und… ehrlich, das führt jetzt zu weit. Junge Menschen, das habt ihr einfach verpasst.

** Das macht man wohl zur Zeit im jungen Theater so. Habe ich erst im Frühjahr in Hamburg gesehen.

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