Gestern Abend im Residenztheater: “Romeo und Julia”

So eine schöne Inszenierung! Hach!

Regisseurin Elsa-Sophie Jach hat mit ihrem Ensemble, Schauspieler, Musiker, Choreographen, Videokünstlern, Bühnenbauer, Kostümbildner und Innen ein wunderschönes Gesamtkunstwerk auf die Bühne gebracht, das mich immer mal wieder mit offenem Mund staunen ließ. Da glaub’ ich, meinen Shakespeare zu kennen, und dann zeigen sie mir einfach frech eine ganz neue Sichtweise und ich find’s toll.

Gleich die Eröffnungsszene ist ein lustiger kleiner Seitenhieb auf Hamlet. Zwei Totengräber schaufeln und wollen wissen, was sich in dem Grab verbirgt und lassen dann das Spiel dieser großen Liebe beginnen. Ab sofort wollen sie (bis kurz vor Schluß) auch nicht mehr Totengräber sein, sondern Amme und Priester… Vorhang auf.

Auf der (Dreh-)bühne steht ein multimodulares, extrem flexibles Klettergerüst, das alles kann: Veronas Straßen, Festsaal, Kammer, Balkon, Gruft, Mantuas Straßen, Sessel, Hocker, Balken… egal, alles und mehr und wird von dieser Truppe, die offensichtlich die Akrobatikklasse in der Schauspielschule summa cum laude abgeschlossen hat, mit einer immensen Spielfreude bespielt, beklettert, berannt, bestiegen. Allein die großartig choreographierten Kampfszenen sind ein Ereignis für sich, voll Tempo, mit intensivem Körpereinsatz. Merke: in dieser Inszenierung kann man auch mit einer gutgeführten Hand erstochen werden. Glaubhaft. Überhaupt, das Spiel auf der Bühne ist extrem physisch, ob kämpfend oder liebend oder in den engen Freundschaften. Wie sehr, fällt auf, wenn Julia einmal Trost bei ihrer kalten Mutter sucht. Und sucht. Und ihn in der Umarmung ihrer Amme, deren Rolle im Vergleich zum Original stark aufgewertet ist, endlich findet. Sie ist (und bleibt bis zum Schluß) Julias Fels. Selten so sehr mitgefühlt, wie bei Pia Händlers Wettlauf gegen die Zeit, und dabei so sehr gelacht.

Die Zeit bis zur Pause vergeht wie im Flug. Jach setzt allerlei Technik ein, ein Schattenspiel, Live-Video, das einen Aspekt auf der Bühne auseinzelt und vor dem allgemeinen Spiel spielen läßt, wie sich Romeo und Julia kennenlernen und ihnen, frisch verliebt, wie sie sind, der ganze gesellschaftliche Firniß von Herzen wurscht ist. Das Stück ist so lebendig, so fröhlich und doch ein Tanz auf dem Vulkan. Denn es tobt die Pest.

Natürlich muß nach dem Höhenflug der Absturz kommen. Er kommt ja immer. Und wenn es durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle ist. Wie immer. “Wirrwarr ist recht, doch Irrsinn nicht!”, wenn er sich da mal nicht täuscht, der junge Romeo. Tut er, und so beginnt und endet diese Kinderehe in einer Grabstätte. Wie immer?

Der zugrundeliegende Text für die Inszenierung ist die sehr gelungende Neu-Übersetzung von Thomas Brasch, erweitert um Einsprengsel, unter anderem von Virginia Woolf, zur Lage der Frau an sich in der Elisabethanischen bis zur Jetztzeit. Das macht den Barden nahbarer als die romantische Kunstsprache Schlegel/Tiecks, was man, ich greife vor, nicht zuletzt am Ausgang merkt, wo begeisterte Teenager-Schulklassen ihrer Freude Ausdruck geben. Es hat ihnen gefallen, sie haben es verstanden. So soll es sein.

In der letzten Zeit hat sich das Residenztheater ziemlich mit Körperflüssigkeiten bekleckert und ich hatte das ziemlich satt. Dieses Mal muss ich für deren Einsatz loben, denn sie bringen das Stück weiter. Julias blutende Nase gleich zu Beginn kann, wer mag, auch überinterpretieren und darin ihren Übergang vom Kind zur Frau sehen wollen und im Bestreben der Mutter, sie wieder präsentabel zu machen, ihren Warencharakter auf dem Heiratsmarkt. Kann. Muß aber nicht. Dass Romeo blutverschmiert in der Gruft ankommt, kann, wer mag, so interpretieren, dass beide, mit Blut gezeichnet, zum Tode verdammt sind. Kann. Muß aber nicht.

Jach ist eine großartige Fassung des Stücks mit einem einander sehr ebenbürtigen Schauspielensemble gelungen. Romeos engsten Freund und Berater Benvolio mit einer eher butchigen Frau zu besetzen, Lisa Stiegler, ist eine sehr gute Idee und fügt der Geschichte noch eine weitere, eher ambivalente Deutung hinzu. Und unter allen Gleichen ist Lea Ruckpauls Julia der Stern. Hach!

Das Ende ist Meta. Mehr sog i ned.

Anschauen! Anschauen! Anschauen!

Das Stück wird in dieser Spielzeit noch drei Mal gespielt, davon ist eine Vorstellung schon ausverkauft. Falls aber wer im Herbst hingehen will: ich gehe nochmal mit.

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