Sie müsse mir das jetzt mal sagen, sagt die alte Nachbarin, als wir uns im Gang treffen. Ich sei ja erst neu zugezogen – na ja, vor zehn Jahren, aber Zeit ist ja bekanntermaßen ein relativer Begriff – und könne gar nicht wissen, wie schön es hier früher einmal war. Nun sei alles verkommen, ihre Freundinnen würden sie schon damit aufziehen, dass sie ja jetzt im “Russenviertel” wohne. Ausgerechnet im “Russenviertel”, das müsse ich mir mal vorstellen, wo sie doch von Putin gar nichts halte. “Wer tut das schon?” versuche ich, zur Konversation beizutragen, ist aber erfolglos, denn sie redet sich ohne Punkt und Komma weiter in Rage. Das Reisebüro, sagt sie, habe “der Russe schon geschluckt”, so fange es immer an.
Zum Verständnis: besagter Schluckrusse ist ein Lebensmittelhändler mit Schwerpunkt auf Waren aus Osteuropa und hat, nachdem das Reisebüro nebenan das Rentenalter der Eigentümerin, die Zeiten im allgemeinen und die Covid-Pandemie im besonderen nicht überlebt hatte, dessen Flächen mitangemietet und seinen Laden um Frischetheken für Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Eingelegtes und allerlei Milchprodukte erweitert. Ich finde das nicht schlimm. Ich bin aber auch der Typ Mensch, der gerne über Märkte streunt und Spaß an “fremden” Lebensmitteln hat.
Ob mir das denn nicht aufgefallen sei: selbst bei Edeka an der Kasse sprächen sie nur noch Russisch… Ist es nicht und meine Bemerkung, dass ich leider zu wenig von osteuropäischen Sprachen verstehe, um Russisch und Ukrainisch unterscheiden zu können und dass ich ein Land, in dem Krieg herrscht, auch fliehen würde, geht unter, denn jetzt geht es um die Hauptsache: den Waschkeller. Diese Russenweiber würden ihre Wäsche ja tropfnass über die Leinen werfen, da habe man als korrekte Schleudererin gar keine Chance mehr auf Platz im Trockenraum. Nie mehr. Der Weltuntergang ist nahe.
Ich versuch a) zu fliehen und b) bis dahin irgendwie bedauernd zu gucken und sage ihr c) deswegen lieber nicht, dass ich beim Buchhändler in der Passage auf den Tischen draußen zwei (2) Bücher in kyrillischer Schrift liegen sehen habe. Dann wäre für sie wirklich alles zu spät.
Wir haben doch hier in der Ecke alle Sorten Menschen. Die paar mehr machen den Kohl auch nicht mehr fett. Mann, Frau Nachbarin.
* Für die Nachgeborenen: das ist eine Referenz. Darauf.