Nimmer ganz neu im Kino: “A Complete Unknown”

Neulich fragte mich eine Freundin, ob ich nicht den neuen Dylan-Film mit ihr im Kino angucken mag. Hmmm. Kino ist seit Corona irgendwie noch nicht wieder so richtig auf meinem Veranstaltungsradar, von Timmy Chalamet als Schauspieler halte ich nicht allzuviel und von einem Biopic über eine noch lebende Persönlichkeit eher auch nicht. Aber ja, warum nicht?

I stand corrected. Einer jener kleinen intimen Kinosäle in den Museumlichtspielen bildet genau den richtigen Rahmen für einen Film über den Aufstieg des jungen unbekannten Musikpoeten Bobby aus Missouri Anfang der sechziger Jahre in New York bis hin zur Elektrorevolte beim Folkfestival in Monterey 1965. Timothée Chalamet, der auch selbst singt, ist brillant. Hut ab! Endlich mal mehr als gedankenschwere Augenaufschläge und melancholische Blicke.

Mitautor und Regisseur James Mangold liefert einen sehr soliden Film ab und die Besetzung ist perfekt. Casting-Oscar? Nicht doch, die Academy hat sich entschieden, den erst ab 2026 zu vergeben. Hrrrgggn! Dabei sind sämtliche Supporting Actors (ich mag das Wort Nebenrolle nicht) wirklich großartig. Pars pro toto: Ed Norton trifft den guten Menschen Pete Seeger genial, Monica Barbaro ist nah am glockenhellen Sopran von Joan Baez, Dan Foglers Manager Albert ist zum Niederknien, wie auch Boyd Holbrooks Johnny Cash und man leidet sehr mit Elle Fanning, die in der zweiten großen weiblichen Rolle den Karrierekollateralschaden spielt. Eine besondere Erwähnung soll Scoot McNairy gelten, der aus einem Krankenbett heraus den großen Woody Guthrie gibt, der, durch Huntington schon seiner Sprache verlustig, seiner Figur nur noch mit Mimik Ausdruck verleihen kann. Und wie! Diese Augen brennen.

Noch einmal zurück zu Timothée Chalamet. Ich bin wirklich überrascht, denn ich glaube ihm seine Figur und deren Entwicklung vom Provinzbübchen zum Superstar, getrieben vom Drang, immer bessere Lyrik und Musik zu schaffen, ohne Rücksicht auf Verluste, seien es Frauen oder Freunde. Um so unerklärlicher ist es, dass der Film die Heroinphase des Künstlers außen vor läßt und nur ständig und heftig geraucht wird. Selbstzensur fürs nachzuziehende Jungpublikum?

Kurz vor Ende ist ihnen die Zuckerdose ausgerutscht. Sehr unnötig. Dylan lädt die längst abgelegte Freundin (Elle Fanning) auf den Rücksitz seines Motorrads und man heizt helmlos mit wehendem Haar durch den wunderschönen pazifischen Westen nach Monterey. Dort müssen sie aber beide unter Schmerzen erkennen, dass ihre gemeinsame Zeit vorbei ist und dieses Mal die Trennung endgültig. Was ein rührseliger Mist! Hätte es nicht gebraucht.

Dafür hätte ich mir die Szene, in der Joan und Bob, auch getrennt, aber zu gemeinsamen Auftritten gebucht, in einem Kampfduett “It ain’t me, Babe” vortragen, gleich ein paar mal ansehen können. Da sprühen Funken.

Ich habe für mich wieder festgestellt, dass meine musikalische Sozialisation in einer Zeit begonnen haben muss, in der ich allenfalls als Säugling präsent war und der Film hat mich mit einem Gefühl schwerer Nostalgie und Sehnsucht nach dieser Zeit, die ich nie erlebt habe, zurückgelassen. Gab’s dafür nicht einen Begriff und habe ich darüber nicht schon mal geschrieben? Ja und Ja.

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