Gestern Abend im Residenztheater: “Sankt Falstaff”

Im Residenztheater scheint man sich einer seltsamen Mode verschrieben zu haben, wenn es um die Inszenierung von Shakespearestücken geht. Neulich, im Sommernachtstraum trafen die Paare in einem Autohaus aufeinander, gestern Abend nun, bei Ewald Palmetshofers Adapation von King Henry IV saß das wartende Publikum vor einer schmuddeligen, ehemals weiß gefliesten Wand mit zwei blechernen Pißrinnen. Hmmm.

Dort finden sie einander, der abgelebte Säuferphilosoph John Falstaff, für den man sich kaum eine bessere Besetzung hätte wünschen können als Steven Scharf (Mehrfach-Hach!) und der Harri, blondgelockter Königssohn inkognito, Kopf in der Schüssel, kurz davor, an seiner eigenen Kotze zu ersticken (Johannes Nußbaum, auch viele verdiente Hachs!). John gräbt ihm das Erbrochene aus dem Schlund, gibt dem Leblosen den Lebenskuß (prosaisch: er beatmet ihn halt) und trägt ihn in seinen starken Armen fort. Ganz starkes Bild, die Pißrinnen-Pieta.

Spielte das Stück in Bayern, nennte man das Etablissement, dessen Wurmfortsatz dieses Männerklo ist, eine “Boazn”. Die der Wirtin Frau Flott, was eine wunderschöne Übersetzung der originalen Misses Quickly ist. Das wars dann aber auch mit schön, denn sowohl die Kneipe wie deren Personal bleiben stark unter dem möglichen Potential. Myriam Schröder ist der Typ unterkühlte Rothaarige, die ideale Besetzung für die einzige Frau in der Führungsriege einer hochkarätigen Anwaltskanzlei (Wirtschaft oder Strafrecht), nicht aber für eine Hände-in-die-breiten-Hüften-gestemmte resolute Wirtin. Die spielt sie eher hilflos und von der Regie alleingelassen. Auch ihre Doppelrolle, als Hitzkopfs Vater mit dem aufgeklebten Menjoubärtchen. Keine gute Idee. Sie paßt nicht für Hosenrollen. Dasselbe gilt für ihren Sidekick Franz (Vincent Glander; in einer Doppelrolle als “das Mundwerk” und Wirtsbursch), der als Kneipier nur im Hintergrund rauchen, ernst gucken und Dosenbier trinken darf. Vollkommen verschenkt, alle beide.

Wo wir gerade bei den suboptimalen Besetzungen sind… Steffen Höld spielt, was im Textbuch der “Quasi-König” und vom Volk “Heinz” genannt wird. Also “Henry IV”, den König, der die vorherige Dynastie gewaltsam beendet hat, nun seine Kräfte und Schließmuskeln schwinden sieht und dringend einen Nachfolger sucht, in den er ein- und übergehen will. Höld ist ein sehr zartgliedriger schmaler kleiner Mann (man denke Tänzer) und steckt in einem monströsen Kostüm, eine Art elisabethanisches Kleid aus silberglitzerndem Daunensteppstoffmaterial, das sowohl seinen Thron wie seinen “Thron”, einen Toilettenstuhl, darstellen soll. Ist bestimmt symbolisch. Ich habs aber nicht verstanden. An der Seite des Königs stehen “der Mund” (Vincent Glander, s.o.), quasi Öffentlichkeitsarbeit und “das Hirn”, quasi Spin-Doctor, den Lukas Rüpel verkörpert. Letzterer macht das gewohnt super, genau wie seine andere Rolle als “Ed”. Auch ihm viele hochverdiente Hachs! Außerdem der junge “Hitzkopf” (Niklas Mitteregger), den sich der König schon mal vorsorglich als Adoptivnachfolger ausguckt. Ein schöner junger Mann, der das weiß und ausspielt. Und das sehr gut.

Fürs Sonderlob haben wir noch Isabell Antonia Höckel, die in ihrer Doppelrolle als “Kate” und “Puppe” brilliert. Meine Fresse, hat dieses Persönchen eine Bühnenpräsenz. Sehr ausdrucksstarke Körpersprache, Mimik und noch dazu eine gute Stimme. Hach im Quadrat! Die hat mir die ganzen drei Spielstunden über nur Freude gemacht!

Die jeweiligen Rollenwechsel von “oben” nach “unten” und zurück werden durch Kostümwechsel angezeigt. Offensichtlich wurden hierfür Restbestände aus einer Skikleidungsnäherei aufgekauft und das dicke gesteppte Zeug in Westen, Überwürfe und sonstiges umgearbeitet. Außerdem Kopfbedeckungen. Möglicherweise soll damit die Zeitlosigkeit der Thematik symbolisiert werden. Vielleicht habe ich aber auch das einfach nicht verstanden.

Mit dem Personal sind wir jetzt durch, Frau flockblog. Wie war denn das Stück so?

Hmmm. Palmetshofers Sprache ist gewöhnungsbedürftig, die Gewöhnung geschieht aber und entwickelt einen sehr eigenen Rhythmus, sehr kongenial unterstützt durch die Live-Musik von Benedikt Brachtel und Sven Michelson. Er versetzt das Stück aus des Barden England in ein Niemands- und Überall-Land, vertauscht die Ebenen, macht den Mann aus der Unterschicht zur Titelfigur und behandelt Machtmißbrauch, Gesetzlosigkeit sowie die auf die Verrohung der Sprache folgende Verrohung der Gesellschaft. So weit, so aktuell. Huiuiui.

Über den Churchill’schen Katalog an Körperflüssigkeiten hinaus kommt noch sehr viel Urin zum Einsatz und ich weiß nicht, wann ich je außerhalb einer Sauna binnen dreier Stunden soviele Penisse gesehen habe. Und aus welchem Grund. Auch hat der sehr mittige Platz in Reihe a (das ist im Resi jetzt die allererste Reihe, die 1. Reihe kommt erst nach Reihe b) einen langen, nicht durch den großen Menschen vor mir verstellten, ausführlichen Blick auf einen hübschen jungen nackten Mann ermöglicht. Nett. Aber warum? Mir will scheinen, dass ich vieles nicht verstanden habe. Es gibt Stücke, die will ich mir deswegen noch einmal ansehen. Dieses nicht.

Palmetshofers Text ist reich an klugen und Möchte-man-sich-merken-Sentenzen. Die würde ich bei Gelegenheit gerne noch einmal nachlesen und dabei die Pippi-Kacka-Schwanz-Exzesse überblättern. Ja, ich habs verstanden. Diese Vulgarität macht was mit einer Gesellschaft. Aber man muß mir das doch nicht andauernd um die Ohren hauen. Mensch. Und dann zieht wieder einer blank und pißt. Och, nö.

Nachbemerkung: Zu meiner Studienzeit war “Queerness bei Shakespeare” als Forschungsgebiet gerade schwer en vogue. War der Meister selbst womöglich schwul? Oder bi? Oder alles ganz anders? Und wir hatten es immer schon mit Mrs. Shakespeare zu tun? Oder vielen? Einem Gay Collective gar? Mann, Mann, Mann.
Ganz ehrlich? Mir todwurscht. Ich würde es mit Shakespeare gerne genauso halten, wie ich das mit der Sexualität anderer Leute schon mein Leben lange tue. So lange alle Beteiligten einverstanden sind, macht doch alle, was ihr wollt. (Hihi.)

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