Gelesen: Harald Jähner – “Höhenrausch – Das kurze Leben zwischen den Kriegen”

Noch ein Buch über die Weimarer Republik? Ja. Dieses Mal nicht aus der Sicht eines Historikers, sondern aus der eines Feuilletonisten, der seine Themen aus Zeitungsarchiven schöpft und auf neue Art und Weise verknüpft und daraus eine Art erzählendes Sachbuch macht.

Gleich vorangestellt: ich habe das Buch, obwohl umfassend recherchiert und in Teilen hochinteressant, nicht besonders gemocht. Nicht, weil mich das Thema nicht interessiert. Ganz bestimmt nicht. Auch nicht, weil ich die Sichtweisen und Ableitungen uninteressant fand. Gar nicht. Aber der Ton. Der ging mir stellenweise so dermaßen auf den Wecker. Die Angelsachsen haben eine Redensart: “Hindsight is 20/20”. Dazu muss man wissen, dass der Wert 20/20 für das perfekte Sehvermögen steht und “Hindsight” “Rückblick” bedeutet. Ja, klar, wir wissen heute, wie es nach den “Roaring Twenties” weitergegangen ist. Wieviele Menschen zu Tode gekommen sind. Und dann kommen manche seiner Kommentare so bräsig-besserwisserisch daher, dass es mir übel aufstößt. Dann doch lieber weniger aphoristisches Geplauder und lieber sachliche Sachbuchsprache. Das mag an mir liegen, die Rezensenten waren durchgehend sehr begeistert. Wer mag, kann mein Exemplar haben und sich selbst einen Eindruck schaffen.

Man wird lesen über die politische (wenig) und soziale Geschichte der Weimarer Republik, die Kultur der 1920er-Jahre en gros et en détail, Frauenemanzipation und veränderte Geschlechterrollen, den Aufstieg der Angestellten, ihren Alltag und ihre Nächte. Architektur und Bauhaus, Tanz (lieber alleine herumzappeln als in traditioneller Zweierform), Musik, Musik, Musik und Mode ohne Fischbein – wobei die Röcke in den ganz frühen Dreißigern wieder länger und die Ausschnitte kleiner werden, Tonfilm und Theater, Zeitungen, Zeitschriften, Literatur, Mobilität und Straßenbau, Vereinsleben, Vegetarismus und Flugzeuge und und und… Und ganz vui Gfui, bei dem Jähner im Kopf eines Fräulein vom Amt genauso steckt wie in dem Eberts und ihnen Aussagen in den Mund legt, die nicht belegbar sind. Aber tief empfunden.

Wie gesagt, es mag an mir liegen. Ich bin ein großer Fan von Fakten. Nun freu ich mich umso mehr auf das Buch von Jens Bisky, von dem ich mir mehr Sachlichkeit verspreche (s. https://flockblog.de/?p=50525).

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