Viel besser geht es nicht. Ein ausgesprochen wunderschönes Schelmenstück. Hach!
John Malkovich muss beim Drehen einen Höllenspaß gehabt haben. Seine Figur des Seneca, der nach langem Exil von Agrippina (herrlich bitchy Mary-Louise Parker) als Tutor ihres Sohnes Nero (großartige Entdeckung Tom Xander), nach Rom zurückgeholt wird, scheitert in der fast zwei Stunden dauernden Produktion an seinem eigenen Anspruch an seine vermeintliche Größe. Herrlich. Aufstieg und Niedergang eines hyperintelligenten Opportunisten.
In einem Filmsetting, das genausogut eine Feld-Wald-Wiesen-Guckkastendrehbühne hätte sein können (großes Kompliment an Kostüm- und Setdesign!), muss er feststellen, dass er zwar Erziehungsversuche an dem kleinen grausamen Knaben Nero unternommen hat, der aber vollkommen unbeeinflusst davon ein großer grausamer Mann mit demselben Knabengemüt geworden ist. Der ihn, Seneca, zwar unermeßlich reich werden lassen hat, aber dennoch nichts mehr sein läßt, als den Spielball seiner, Neros, Launen. Das macht er ihm auch mehr als deutlich, als er seinem Philosophen und Lehrer die neuen Regeln “erklärt”, während er ihn im Schwitzkasten würgt.
Im Präsidentenpalast (Nero ist hier nicht Kaiser, sondern “The President”) ist Seneca inzwischen zur persona non grata geworden. Die zweite Hälfte des Films spielt daher im wesentlichen auf seinem von Geröllfeldern umgebenen Landgut, fast schon wieder einer Art Exil. Die Szene wird im Laufe der Zeit auf einen einzigen Raum verdichtet werden, sehr beklemmend.
Seneca bleibt nichts, als sich in vergangener Macht zu sonnen und zu reden, reden, reden und allen, Freunden, Wegbegleitern, der kindlichen Gattin (ganz groß Lilith Stangenberg), den Speichelleckern und seinem treu mitschreibenden Sekretär, damit gründlich auf die Nerven zu gehen. Merkt er aber nicht. Redet weiter und mehr. Inszeniert für seine Entourage ein selbstgeschriebenes Splatter-Theaterstück über Machtmißbrauch das – höhö – in Griechenland und nicht in Rom, nei-hein, spielt und, richtig, redet. Ohne Unterlass.
Das Stück im Stück und den grausamen Mord an zwei Sklavenbuben vermeintlich zu ihrer Unterhaltung und um das grausame Spiel zum grausamen Abschluss zu bringen (dem Vater werden die Leichen der eigenen Kinder zum Mahl gereicht, Titus Andronicus läßt grüßen) hat die Entourage, mit sehr schönen Szenen für die inzwischen wohl mindestens 80-jährige Geraldine Chaplin, noch halblaut meckernd hinter sich gebracht. Nun liegt man auf der Terasse des Landguts zu Tische, als ein reitender Bote (der archetypische GI, tolles Kostüm, toller Auftritt Andrew Koji) eintrifft. Nero, erfährt man, habe Seneca wegen Verschwörung zu Tode verurteilt und lasse ihm die Wahl, noch in dieser Nacht Selbstmord zu begehen oder am nächsten Morgen vom Boten grausam gemeuchelt zu werden.
Seneca redet. Auch für die Nachwelt, schwierige Begriffe buchstabiert er für den Sekretär. Aber nun hört wirklich keiner mehr zu. Die Gattin? Ja, die redet er noch nieder. Teilhaben soll sie an seinem Tod. Mit ihm in die Ewigkeit eingehen. Sie ist zu jung und zu unerfahren, seiner Rhetorik etwas entgegen zu setzen und stimmt zu. Fast alle anderen Gäste suchen und finden Ausreden, sich von dem todgeweihten Mann und seinem Unglück bringenden Schicksal Staubwolken hinter sich herziehend abzusetzen.
Die letzten verbliebenen Freunde schneiden Venen auf. Die Senecas, und in einem fortgesetzten Schnitt, die Paulinas. Seneca redet. Paulina blutet. Seneca schwafelt und blutet nicht. Paulinas weißes bodenlanges Gewand ist rot, sie steht in einer Blutpfütze. Seneca schwätzt. Weitere seiner Venen werden tief eingeschnitten. Nichts. Sie schließen sich wieder. Nicht so sein Mund. Paulina ist bleich und schwankt. Seneca dampfplaudert. Die letzten verbliebenen Freunde packen Paulina, vielleicht ist sie noch zu retten. Seneca bleibt mit dem Sekretär zurück. Und redet, redet, redet.
Seneca erwägt Gift. Natürlich verbal. Redet, redet, redet. Er habe ja immer ein Beutelchen getrockeneten Schierlings im Hause, so wie seinerzeit Sokrates selig. Ein angemessener Tod befindet er und läßt den Sekretär einen Trank brauen. Trinkt ihn und gerät in einen Laberflash. Ach ja, erinnert er sich dampfplaudernd, die Wirkung habe Schierling auf ihn ja immer. Ach. Was tun? Vielleicht, überlegt er laut, könne ihn der Sekretär im Bade ersäufen? Der sieht allerdings, dass der Bote vom Nachmittag wieder aufgetaucht ist und will nun auch nur noch weg.
Regisseur Robert Schwentke läßt John Malkovich nun endlich vollends von der Leine und wie der sich in der Würdelosigkeit und Feigheit des doch angeblich so großen Mannes suhlt ist eine wahre Augenweide. Herrlich.
Ich bin sicher, dass dieser Film nicht jedermanns Sache ist. (Generisches Maskulinum.) Eher schrägeren Gemütern lege ich ihn sehr ans Herz. Selten so gut und komisch und doch anspruchsvoll unterhalten gefühlt. Der kommt bei mir auf die Liste der gelegentlich wieder anzuschauenden Filme. Mehr kann ein Film gar nicht wollen.