Gelesen: Hilary Mantel – “Wolf Hall”

Meine Fresse! Es ist so ein Geschenk, dass es trotz der Unmengen von Büchern, die ich gelesen habe, doch immer wieder ein großes Werk gibt, das mich in Erstaunen setzt und mit Dankbarkeit füllt.

Man muss sich jetzt nicht wirklich wundern. Frau Mantel hat für die ersten beiden Bände ihrer Cromwell-Trilogie (“Wolf Hall” und “Bring up the Bodies”) den Man Booker Preis gewonnen. Zwei Mal in Folge, das war noch nie da und man kriegt diesen Preis auch nicht fürs Nichtschreibenkönnen. Bei mir lag das Buch lang auf dem Willichunbedingtlesen-Stapel, wurde aber immer wieder von anderen verdrängt. Nun aber scheint die Zeit reif gewesen zu sein und zwei durchgelesene Wochenenden und langen Nächte dazwischen später kann ich nur sagen: WOW!

Was für ein selten schönes Buch. Wunderbar geschrieben, jede einzelne Figur hat ihren eigenen Klang und man kommt einer Geschichtsperiode nahe, von der man wenig Ahnung hat. 1500 ummadum, die Welt wird zusehends größer und seit Luther seine Thesen an die Tore der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt und es gewagt hat, das Wort Gottes in die Sprache des gemeinen Volkes zu übersetzen, herrscht Aufruhr. Im Vatikan, der seine Macht bedroht sieht, in den Königs- und Fürstenhäusern, die ihren Herrschaftsanspruch von Gottes Gnaden erhalten zu haben vorgeben, in den Ständegesellschaften.

In diesem Klima kommt der englische König Henry VIII auf die Idee, die bisherige sohneslose Gattin gegen ein neues Weib umtauschen zu wollen. Mit päpstlichem Segen, aber auch ohne, als dieser partout nicht kooperiert. Unter den Höflingen auch Thomas Cromwell, der Sohn eines Schmieds (man lese nur die Eröffnungsszene des Buches und wird den Vater Walter Cromwell nie mehr vergessen), weltläufig und gewitzt, gebildet und intelligent. Er wird zum Regisseur eines Weltenwandels und der Hauptfigur der drei Bücher.

Wir stehen im Dreck der Londoner Straßen, bekommen den Gestank verbrannter Ketzer kaum aus der Nase, dinnieren an den Tafeln der Mächtigen, bestaunen Kunstwerke aus aller Herren Länder, und stehen fassungslos vor dem unglaublichen Aufwand, der für die Erbfolge betrieben wird (noch nicht geboren? Macht nichts. Wenn’s ein Mädchen wird, verschachern wir sie an die Franzosen, einen Knaben an die Spanier. Oder umgekehrt). Hauptsache, Machterhalt, Allianzen, noch mehr Einfluß auf noch mehr Land.

Es ist ganz und gar großartig, wie wir durch die acht Antechambres der “Queen to be”, Anne Boleyn geleitet werden, wie “Hans” (Holbein) abgestellt wird, mal Porträts, mal Inneneinrichtungen zu malen, wer wen mit welchen Intrigen wovon abhält oder zu etwas treibt und es hört nicht auf. Ein falsches Wort, vom falschen Ohr gehört und ins richtige kolportiert, kann grausame Folgen haben. Einst Mächtige stürzen (werden gestürzt) tief, tief, tief von ihren sehr hohen Rössern, Frauen sind auf einmal Witwe und besitz- und rechtlos, Hab und Gut werden gefleddert und anderen, neuen Günstlingen zugewiesen. Hach!

Was freue ich mich, dass die Folgebände schon erschienen sind. Ich denke, ich reise nächste Woche mit nach Wolf Hall und schaue mir an, wie die Geschichte weitergeht. Und wer jetzt sagt, dass man das doch weiß und auch weiß, wie die Geschichte ausgeht und die Protagonisten enden, der hat keine Ahnung. Das ist nämlich vollkommen egal. Mantel schreibt so spannend, dass ich wahrscheinlich vollkommen überrascht sein werde, wenn Anne Boleyn im Tower geköpft werden wird.

Lesen! Lesen! Lesen!

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