So kurz vor der letzten Jahrhundertwende, als Arne Dahl noch neu war, habe ich seine Krimis eigentlich immer sehr gemocht. Spannend, realistisch, die Figuren sich weiterentwickelnd. Sollten die Übersetzungen schlecht gewesen sein, ist mir das vor über zwanzig Jahren nicht aufgefallen. Und als mir jetzt auf dem Remittendenstapel mal wieder ein Dahl günstg zulief, habe ich ihn als Ferienlektüre mitgenommen. Zwar mag ich inzwischen Krimis nicht mehr so gerne, besonders wenn grausam-blutige, insbesondere Gewalt gegen Frauen, in episch-genüßlicher Breite eine Handlung vortäuschen. Aber hej, es ist ein Dahl für 3,99.
Ich hätte den Klappentext lesen sollen… Thema sind Zwangsprostituierte aus Ost-Europa und der brutale Umgang mit der “Ware”. Wobei es dann so war, dass mir nicht nur die Inhalte, sondern auch die Sprache die Nackenhaare aufgestellt haben. Ich habe ernsthaft erwogen, zügig Schwedisch zu lernen, um herauszufinden, ob Dahl es nicht (mehr) kann oder Wibke Kuhn sich nicht die Mühe gemacht hat, die Übersetzung einer mangelhaft trainierten KI wenigstens einmal Korrektur zu lesen.
In der deutschen Übersetzung klingt das Buch wie eine Zeitbombe. Es tickt ständig. Mal ist es die Zeit selbst, mal eine Digitaluhr, mal Minuten, und wenn sie es tun, dann gnadenlos, grausam, dumpf oder hartnäckig. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit, genausowenig wie die der Blicke, die vorkommen. Die sind mal blau, mal schwarz – dann kommt der Blickinhaber von der Schwarzmeerküste und der Wahnsinn hat doch eine gewissen Logik – mal steinern, mal klinisch (Empfangsdame) und können im Bedarfsfall abgelegt werden. Das ist aber lange nicht alles, was Blicke in diesem Buch können, nein, weit gefehlt. Sie können beispielsweise auch ein Telefon festnageln.
Soweit zu den Sehorganen. Nun zum Rest menschlicher Anatomie. Wenn sich eines der Opfer wehrt, dann mit Nägeln und Klauen. Wenn die Heldin Auto fährt, ist man unwillkürlich erleichtert, nicht auf derselben Strecke unterwegs zu sein: Ihr Kopf war ganz leer. Und gleichzeitig eigenartig offen. Ihr Hirn schien sich zu weiten, als wäre es geschwollen. Sie bremste, blieb kurz sitzen. Parkte auch ihr Gehirn. Dann wirds richtig schlimm: Gedanken, die nicht die Form von Worten hatten, die im Grunde nicht einmal richtige Bilder waren, sondern nur starke, wilde Gefühle fraßen sich in sie hinein. Man möchte wirklich einen autofreien Tag einlegen oder mindestens in die andere Richtung fahren. Vor allem, als der Scheinwerfer sein Licht in ihre Augen wirft und ihr wird, als wäre sie tief im heißen Badewasser ihrer Erinnerungen versunken. Logo. Scheinwerfer werfen, das ist ihr Job und wer hat nicht schon mal statt Lavendel Erinnerungen als Badezusatz verwendet? Als sie dann endlich am Ziel ankommt, wird es nicht besser. Ein schiefes verwittertes Schild warnte vor einem Hund. Sie stieg aus dem Auto und lauschte nach einem ebensolchen Kläffer. Ebensolch? Warum dieser Begriff? Warum hier? Wer erklärt mir das, bitte?
Inzwischen ist Handlung geschehen und der Held liegt geschlagen am Boden. Er mußte jetzt alle Fragen fallen lassen. Wacht aber auf doch auf, als er was hört. Eine gefallene Frage, vielleicht? Nein, der Ton kam aus seinem Inneren. Aus der anderen Innentasche. Puah. Ich dachte ja Verdauungsprobleme. Aber warte, ein paar Zeilen weiter, ist hier nicht eine Bombe? Er hoffte innigst, dass seine Innereien nicht gleich den Weg nach oben mit graffitiartigen Spritzern überziehen würden. Die Angst war wie Lava in einem unendlich engen Raum. (Frage an die Physik: kann Enge unendlich sein?) Glück gehabt, nur ein Attrappe. Er kommt heil raus und war in die Frische des Sonntagmorgens gehüllt. Da verdient man sich schon einmal eine Auszeit und wo sinniger, als auf dem ausgesessenen Sofa vor dem Kamin. Er massierte sich energisch das Kinn, als wolle er die Informationsflut besser verteilen. Klar, so geht das. Machen doch alle so. Kinnmassage fördert das Denkvermögen. Aber, no rest for the wicked, es knarzt die Tür. Und wie knarzt die Tür? Angestrengt, natürlich, wie Türen das eben tun. Und dann starrte er der nackten Trauer in den Rachen.
Auch Flora und Fauna werden nicht verschont. Auf Seite 342 : Der undeutliche schwarze Umriß eines Vogels segelte durch den Regen. Segelte. Als ob er etwas von ihm wollte. Auf Seite 353: Alles, was er sah, waren Bäume. Bis der undeutliche schwarze Umriß eines Vogels durch den Regen segelte. Als ob er etwas von ihm wollte. Zehn Seiten auseinander. Das muss einem doch auffallen. Irgendwann. Beim Gegenlesen. Beim Lektorieren. Beim Übersetzen. Da sollte doch nicht die Leserin für herhalten müssen. Andererseits, wenn in der Dunkelheit die Finsternis an seiner Seite ist… dann ist alles möglich. Auch dass die Natur ihn peitschte, kniff, schlug.
Aber wir habens schon fast überstanden. Die Bösen sind entlarvt, das Kind gerettet, die Nutten Kollateralschäden. Es ist vorbei.
Wieder schwiegen sie eine geraume Weile. Waren sozusagen gemeinsam still. Das wäre mal ein guter Ansatz gewesen. Für Autor und Übersetzerin.
Nicht lesen.
Alles, was kursiv gedruckt ist, sind wörtliche Zitate. Ich hebe das Buch auf, falls wer zweifelt.