Münchens Verhältnis zur Subkultur ist ja eher ambivalent. Eigentlich hätte man gern eine, wegen urban und so. Aber in echt steht ums Eck immer schon wer mit geladenem und entsichertem Wischlappen, um Schmuddeliges zu entfernen. Also schon sub, aber halt auch sauber und ordentlich und im Rahmen der Büroöffnungszeiten. Wenn es ein braves Schmuddelkind ist, dann sieht man ihm auch nach, wenn es unbedingt den Beinamen “Kultur” führen will.
Im letzten Jahr (2018) ist in München gleich hinterm Marienplatz das Museum of Urban and Contemporary Art (MUCA) eröffnet worden; wahrscheinlich ein Versehen, weil die Subkulturputzbrigade, wg. des heißen Sommers abgelenkt, irgendwo im Außeneinsatz war. Und weil der Subkulturelle ist, wie er eben ist, konnten die guten Menschen vom MUCA den Hals nicht vollkriegen und wollten gleich noch mehr Raum für noch mehr Kunst und Künstler.
Sie haben ihn gefunden, im Münchner Westen, auf dem trübsinnigen Abschnitt der Landsberger Straße zwischen Laimer Unterführung und Pasinger Stadtgrenze. Dort nämlich steht die alte Tengelmann-Verwaltungszentrale (wobei der ganze Hof mit triumphal-leuchtenden Edeka-Bannern beflaggt ist, aber das ist eine andere Geschichte). Außenfassaden sowie die beiden oberen Stockwerke, insgesamt gute 5000 Quadratmeter Fläche wurden 50 Künstlern ohne weitere Auflagen zur Gestaltung freigegeben. Das Ganze war von Anfang an als befristetes Projekt geplant: Ende Januar 2019 ist Schluß. Dann wird das Gebäude abgerissen und macht Platz für einen modernen Bürocampus.
Was Kunst ist, liegt im Auge des Betrachters (oder im Ohr, im Geschmack, im Geruchssinn, in der Haptik oder einer Kombination aus mehreren Sinnen) und ich kann für mich immer nur entscheiden, ob sie zu mir spricht oder ob ich etwas schön finde oder halt nicht. Ich werde also nicht über gar zu dekorative Popart berichten oder über zu gewollt Provokatives oder Schtermslangweiliges. Auch nicht über die grausigen Akrylgesichter oder angemalte oder eingepackte Heizkörper. Heizkörper, huiuiui! Alles ned so meins.
Wer mag, kann auf dem virtuellen Rundgang mitgehen: https://www.kunstlabor.org/virtueller-rundgang/
Zum ersten Mal richtig gegraust hat es mich im Archiv. Das Aktenarchiv, mit deckenhohen (hohe Decke!) eng an eng (gerade mal knapp hüftbreite Durchgänge) gestellten Regalen, vollgestopft mit Akten. Jeder Rücken ordentlich beschriftet. Zu denken, dass dieser altertümliche Papierfriedhof tagtägliches Leben inzwischen längst vergessener Menschen ist. Mich schaudert. Wohin jetzt?
Ein Künstler hatte eine große Skulptur aus Transportkisten gebaut, teilweise mit Fensterchen, teilweise a bisserl arg offensichtlich (Kinderkissen, Kuscheltier, ein Ringelstrumpfeinzling), andere tiefgründiger, und in seinem Raum eine ganze Wand freigelassen, auf der Besucher ihre Gedanken zum Thema “Was ist Heimat?” notieren sollten. Ich glaube, ich habe so gut wie alle diese Einlassungen gelesen. Erste und erfreuliche Beobachtung: kaum obszönes Gekritzel. Die zweite: bei den meisten Menschen hängt Heimat mit den “ursprünglichen” Sinnen zusammen, nämlich Geschmack (in Kinderschrift: Nudeln und Pommes ohne Salat) und Geruch (Mein Strand bei Ebbe). Sehr schön.
In einer der nächsten Installationen sind knallbunte Plastikpitbülle in verschiedenen Verrichtungen arrangiert, WTF? Dann aber folgen einige Räume, mit denen ich viel anfangen kann. Leider habe ich mir den Katalog nicht gekauft und die Namen der Künstler nicht notiert. Bleibt also alles anonym.
Hier ein Wandbild, bei dem man doch nur “Flüchtling” denken kann…
L.E.T. (beide Bilder unten) war mein Graffiti-Favorit, wahrscheinlich, weil ich halt doch mehr vom Wort komme… (Für bessere Lesbarkeit einfach auf das/dem Bild doppelklicken.)
Einer hat in den Gängen seine persönlichen Freak-Show-Varianten aufgemalt:
Ein anderer in Comicbuch-Manier das Haus, wie er es beim “Einzug” vorgefunden haben dürfte:
Im nächsten Raum lagen und standen große Schienen voller einzeln und aufwendig gestalteter Fliesen, deren ich am liebsten jede mitgenommen hätte, so gut gefielen sie mir. Und dann standen wir auf einmal mitten in einem plastikvermüllten Meer und bekamen Sand in die Schuhe. War in meinen Augen mehr Umweltpolitik als Kunst, aber darum nicht weniger interessant.
Im 6. Stock und viele Räume weiter, nach Vorstandsetage, Küche und Kantine habe ich in den Geheimakten endlich die Aufklärung des großen Nachkriegsmalzbonbonskandals aus dem Jahre 1952 entdeckt. Echt, dort lagen Akten zum Rumblättern rum und neugierig, wie ich bin, habe ich eine x-beliebige in die Hand genommen und… voilà. Kamellogate, endlich enthüllt.
Da oben wars nicht nur wesentlich kälter, es wurde auch zunehmend makabrer. Vor dem Raum mit den Urnengräbern der einzelnen Tengelmann-Filialen (Name, Anschrift, Todestag) hing ein großes Wandbild mit küssendem Putin, daneben mußte ein Ehepaar sich gegenseitig inmitten der Kunst ablichten:
Danach kamen die Duschräume. Im “naturbelassenen” (100.000 mal benutzt, 100.000 mal geputzt, jetzt Verfall und Dreck anheim gegebenen) Duschraum konnte man gar nicht anders, als sich das Leid all jener zu vergegenwärtigen, die je Mächtigeren in Institutionssanitäreinrichtungen ausgeliefert waren. Das war so beklemmend, dass man um den einzigen unfreiwillig komischen Akzent wirklich dankbar war.
Den für das andere Geschlecht hatte sein Künstler in ein blauschimmerndes Tiefseeabenteuer verwandelt, wohltuend und erholsam.
So. Jetzt sind wir durch, und weil wir uns da oben gar so tapfer durch viel zu viele geflieste Räume gekämpft haben (da hilft alle Kunst nicht, in denen lebt das Grauen), bekommt jeder noch einen Keks und dann gehen wir nach Hause.