Neu im Kino: The Children Act (deutscher Titel: “Kindeswohl”)

Vorsicht. Spoiler.

Es gibt Filme, bei denen stimmt einfach alles. Die Besetzung mit Emma Thompson, Stanley Tucci, Ben Chaplin und Fionn Whitehead in den Hauptrollen. Das Thema. Darf oder gar muß der Staat eingreifen, wenn Eltern ihrer religiösen Überzeugung wegen einem Minderjährigen eine lebensrettende Blutransfusion verweigern? Selbst, wenn dieser Minderjährige knapp vor der Volljährigkeit steht und klar artikuliert, dass er lieber sterben will, als sein gottgegebenes Blut mit fremdem zu “verunreinigen”.

Eigentlich kann man das vom Blatt filmen. Ein angelsächsisches Gerichtsdrama. Die Familienrichtern (Dame Emma), für die das Drehbuch nur die schwersten moralphilosophischen Fragen zur Urteilsfindung vorsieht (welche Entscheidung ist nach dem Gesetz richtig, wenn von einem siamesischen Zwillingspaar, wenn man sie auseinanderoperiert, “nur ” ein Kind stirbt, das andere dafür sicher überlebt, ohne Trennung aber beide dem Tod geweiht sind?) und die sich davon vollkommen vereinnahmen läßt. Den Ehemann (Stanley Tucci), der, hauptsächlich um davon abgehalten zu werden, eine Affäre ankündigt. Den Vater (Ben Chaplin) und den Sohn (Fionn Whitehead), beide Zeugen Jehovas, beide stark im Glauben, der Vater ein Geläuterter, der Sohn hineingeboren. Der Siebzehnjährige leidet an Leukämie. Leidenschaftlich trägt sein behandelnder Arzt vor Gericht vor, dass der Patient in diesem Stadium und in seinem Alter gute Heilungschancen hätte. Wenn zu den Medikamenten Bluttransfusionen gegeben werden. Wenn nicht, könnten vor dem sicher zu erwartenden Tod Symptome wie Blindheit, Lähmungen und anderes Leiden auftreten.

Die Richterin unterbricht die Verhandlung, um sich selbst ein Bild zu machen. Krankenhaus. Ein Bett, von fiependen und blinkenden Maschinen umgeben. Darin ein bleicher schwacher verschwitzter leidender Jugendlicher im getupften Hemdchen. Man spricht und musiziert miteinander. So weit, so dramatisch, so gut. Zurück im Gericht, verkündet sie das Urteil: das Gesetz schützt das minderjährige Leben. Vor der Religion der Eltern, vor sich selbst. Die Szene, in der die Bluttransfusion schließlich verabreicht wird, ist sehr stark und ungeheuer berührend.

Danach entgleist der Film. Man hat den Eindruck, als habe man den unerfahrenen Regieassistenten mit der Aufgabenstellung “und nun zeig mal die Konsequenzen dieses Urteils” mit den Schauspielern am Set allein gelassen. Der hat zunächst seinen Robenfetisch ausgelebt und dann die Cutterin angewiesen, willkürlich mal hier, mal da, Szenen zu kürzen und schon mal Aussortiertes zusammenhanglos wieder hinzukleben. Es wird bis zum Schluß nicht klar, warum die Richterin jeden weiteren Kontakt mit dem jungen Mann so dermaßen vehement ablehnt* und zwar jedes Mal wieder, wenn er hartnäckig danach sucht oder wieso seine Familie reagiert, wie sie reagiert oder was jetzt eigentlich gerade in der Richterehe geschieht. Stattdessen darf Dame Emma viel Piano spielen und ab und zu was singen. Einmal muß sie sogar eine Pudelfrisur tragen, zeigt dabei aber Contenance.

Schade. Denn, wie gesagt, es gibt Filme, die will man mögen. Der hier hats aber nur bis zu dem Moment geschafft, wo der junge Mann, geheilt und strotzend vor Leben, der Richterin sich und den Rausch, als Held seines Glaubens in den Tod zu gehen, erklärt. Man hätte damit aufhören können. Ach was: sollen. Ach ach was: man hätte müssen. So ist es nur ein mittelmäßiger Film geworden.

 

* In der Buchvorlage von Ian McEwan schwankt die kinderlose Richterin zwischen ursprünglich wohl eher mütterlichen Gefühlen und im Laufe der Zeit wachsenden sexuellem Verlangen. Wenn sie das im Fim mal herausgearbeitet hätten.

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