Kurt Tucholsky hat für seine Kunstform, Einfälle / Beobachtungen / das Läbbn an sich / im allgemeinen und im ganz besonderen / Geistesblitze / Bruchstücke / Ideen, also vieles, was es nicht bis zur Kurzgeschichte oder zum Couplet geschafft hatte, jedoch zum Verwerfen zu schade war, die Bezeichnung “Schnipsel” geprägt. Ich leihe mir die jetzt mal, weil eine Woche All-Inclusive im Ägyptischen wirklich nicht hinreichend Material für einen oder mehrere in schöner Ferienprosa geschriebene blogposts hergibt, aber mehr als genug für *Gyptenschnipsel.
- Vor den Abflug haben die Götter das Enteisen der Tragflächen gesetzt. Wenn es sonst keinen Grund gäbe, wohin zu reisen, wo es warm ist, würde das schon reichen.
- Ankommen. Schuhe aus. Strümpfe aus. Ich werde in der kommenden Woche nur noch in Ausnahmefällen (“smart casual” im Speisesaal) Schuhe tragen. Herrlitsch!
- Die rosenfingrige Eos bzw. ihre ägyptische Kusine malt sich abends und morgens die Hände wund, Windsbräute blasen, dazu Wellenschlag. Fürs Schnorcheln brauchts aber die Variante ruhiges Bleiplattenmeer und hellen Sonnenschein. Wie ging der Zauberspruch dafür nochmal?
- Der Tourist Haßknecht (klein, gedrungen, kopfhaararm, hypertonisch, orthopädisches Schuhwerk) ist eingetroffen. Schneidigen Schrittes unterzieht er die Außenanlagen einer Inspektion und findet einen lokalen Gärtner vor, der gerade an einem Rasensprenger herumhantiert. Der Mann kommt in den Genuß einer Haßknechtschen Ansprache, die darin mündet, dass nichts in einem Land wie diesem wichtiger sei, als regelmäßige und konstante Bewässerung. Es ist davon auszugehen, dass nun, nachdem die Botschaft überbracht wurde, noch in diesem Frühjahr mit der Aufforstung der Wüsten begonnen wird.
- Frage: Woher stammt eigentlich das Gerücht, dass es bei Wind keine Moskitos gibt? Antwort: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Moskitos, den verlogensten Geschöpfen der Tierwelt.
- Ab 12:00 Uhr mittags gibt für alle qua Armband Berechtigten an den Getränkeausgabestellen “hard alcoholics”. Dazu zählt auch der hiesige Wein, ein mißratener Vetter des allerallergrausigsten Retsinajahrganges, mit chloriertem Wasser angereichert.
High Noon: Ein britisches Rentnerehepaar sitzt in einträchtigem Schweigen auf der Terasse, sie schauen dem Meer beim Meersein zu, zwei Gläser Rotwein (ich nenne den nur so, weil das Gesöff ja einen Namen haben muß) vor sich. Ihre Ladyship äußert halblaut einen Wunsch, der Gemahl springt (im Rahmen seiner geriatrischen Fähigkeiten) sofort auf, ihn ihr zu erfüllen und kaum hat er dem Tisch den Rücken zugewandt, zwitschert sie zügig die beiden Gläser leer. Dann kommts. Also, erst einmal er zurück, sieht das leere Glas, bemerkt galant, dass es ihm entgangen sein muß, dass er seinen Wein schon ausgetrunken habe, ordert beim Kellner ein neues und, ganz beiläufig, auch eines für sie – denn deines ist ja auch leer, Darling. Von wegen chivalry is dead. Den würde ich mir für besondere Gelegenheiten gern mal ausleihen. - Hach, endlich wieder Orient, da, wo die Mondsichel auf dem Rücken liegt.
- Morgens am Strand. Es ist die Stunde der Händler, also der Abgesandten der Betriebe, die hier im Hotel am Wohlbefinden des Touristen arbeiten. Der erste vertritt den Butty Salon und hat ein dickes Fotoalbum mit Bildern von schönen Haaren, Händen, Füßen, Nägeln, Wimpern, bemalter Haut, Zöpfchen, Augenbrauen, Oberlippenbärtchen (eben nicht!!) und erläutert wortreich, was alles in den wunderbaren Behandlungspaketen inbegriffen sei. Nachdem ich die Unterbrechung meiner Lektüre für nunmehr unangemessen lang befunden habe, schicke ich ihn mit dem Versprechen fort, dass wir uns melden, wenn wir seiner Unterstützung bedürfen sollten. Nein, wir wollen auch keine Schnäppchenangebote. Geh weg!
Kaum ist der Liegestuhl wieder zur Sonne ausgerichtet (dabei die freie Sicht aufs Rote Meer berücksichtigt) steht schon wieder einer da. Er sei vom Team Joy und gekommen, um… mir von der Ankunft des Kindleins zu berichten? Quatsch. Natürlich nicht. Er will, dass ich Spaß habe. Team Joy, du verstehen? Spaß haben! Hab ich. Geh weg. Nein, insistiert er, noch mehr Spaß. Aqua Fitneß. Beach Volley Ball. Gemeinsames Einüben lustiger Choreographien. Spaß! Bauchtanz. Viel Spaß! Animaçion (nur echt mit gekonnt gelispelter Cedille). Die totale Animaçion! Zu dem bin ich schließlich so häßlich und verbitte mir so ausdrücklich jeden weiteren Spaß, dass er mich für die Restwoche noch nicht einmal mehr grüßt. Innerlich klopfe ich mir auf die Schultern: Das habe ich gut gemacht.
Und schon wieder steht mir ein Herr mit Fotoalbum vor der Sonne. Himmelkruzitürken, muß denn das sein? Ja. Da muß sie durch, die Pauschaltouristin. Diesen Mohamed hat uns das “Royal Spa” geschickt und er will, dass wir auf unsere Körper hören, denn die schrien geradezu nach Massagen. Da könne er helfen. Hmmm. Wir sind hier zum Erholen, warum eigentlich nicht? Und weil ich hier zum Erholen bin, habe ich so wenig Lust zu feilschen, dass ich ihn das alleine machen lasse, bis er bei einer für beide Seiten akzeptablen Anzahl zu einem für beiden Seiten akzeptablen Preis angekommen ist. Dann muß ich die Liege verrücken und dringend weiterlesen, vade retro, Mohamed, wir sehen uns später. - Wenn Spatzen am Rührei picken und ihre Schnäbel in Hühnersuppe wetzen: sind sie dann Kannibalen?
- Mal auf dem langen Steg nach vorne zum Riff laufen (dort knattert die “Meer betreten verboten”-Rote Fahne im sehr sehr frischen Wind) und in die brodelnde Waschküche nach unten starren, kaum zu glauben, dass sich da bunte Fischlein im Korallengarten spielen sollen. Wenn wirs noch eine Viertelstunde aushalten, informiert uns der schlotternde Life Guard, dann kommen Delphine. Die kommen immer um 4:00. Und wenn sie kommen, dann bläst er auf seiner Trillerpfeife. Und wenn sie gekommen sein sollten, dann hat der Wind den Pfiff verblasen. No dolphins for us.
- Abends, wenn wir beim Essen sind, kommen immer Männer in unser Zimmer und hinterlassen Kekse. Manchmal treffen wir sie dabei. Es mag sich dabei um eine Form der Gastfreundlichkeit handeln, wir mögen es trotzdem nicht.
- Der offensichtlich von einem alten Solinger Geschlecht abstammende Tourist Haßknecht unterweist das Speisesaalpersonal im Gebrauch eines Wetzsteins. (Zum Frühstück gibt es kistenweise Orangen, eine altmodische Saftpresse mit Hebel sowie ein Schneidebrett und ein Messer, das seine schärfsten Zeiten schon hinter sich hat. Alle anderen kriegen damit die Früchte halbiert. Wenn frau gleich nach dem britischen Admiral i.R. ansteht, bekommt sie auch den Saft ausgespreßt, so lange, bis die Frau Admiral, eher unruhig, interveniert. Aber dann ist das Glas auch voll und sie kann ihn gerne zurückhaben.)
- “Imperium”, den ersten Band der Trilogie über Cicero und den Aufstieg und Fall des Gaius Julius Cäsar von Robert Harris ausgelesen. Ich gehe vollkommen in diesem Buch auf und bin inzwischen überrascht, wenn meine Sänfte mit den nubischen Trägern nicht auf mein Kommando bereitsteht. Dann muß ich immer irgendwen (seien es die Haussklaven, sei’s die unbotmäßige Jugend am Pool) mit lateinischen Phrasen maßregeln und mir drakonische Strafen für Sänftentrödelei ausdenken (Kreuzigen, Vierteilen, Arena, Löwen, usw.). Vielleicht ist es ganz gut, dass ich die anderen beiden Bände nicht dabeihabe…
- Das Meer steht so hoch, dass es den Horizont verdeckt. Gibts das woanders auch? Warum ist das so? Und ist das wichtig?
- Ich glaube, wir sind einem immensen Korruptionsskandal auf der Spur, der mehrere hiesige Industriezweige umfaßt. Wie sonst könnte es möglich sein, dass vor die schönen Rundbögenfenster hölzerne Gardinenkästen quer angenagelt und zu allem Überfluß in schlierigem Türkis gestrichen sind, einer Farbe, die sich mit allem beißt, vor allem aber mit den schmutzweißen Vorhängen (alle entweder immer knapp zu kurz oder gerade so viel zu lang sind, dass sie am Boden schleifen müssen), mit grau-beigen Lettern aus dem arabischen Alphabet bedruckt. Meine Kenntnisse der Schriftsprache sind nicht ausreichend, um beurteilen zu können, ob es sich um Einzelbuchstaben oder ganze Worte, möglicherweise sogar Suren handelt. Was immer es sein mag, mir hat sich nun immerhin zum ersten Mal die Herkunft des Begriffes Gardinenpredigt erschlossen.
Wir beschließen diese Abscheußlichkeit den Ägyptischen Landhausstil zu nennen und stellen im Verlauf unseres Aufenthalts fest, dass manche Menschen von der Wirkung der unterschwelligen Gardinenverkaufsbotschaft so überzeugt zu sein scheinen, dass sie Memorabilia in Form von Tüchern, Taschen, Beuteln in diesem Design herstellen haben lassen. Wir widerstehen. ¡No pasarán! - Nach dem Dinner brühen wir immer Tee aus frischer Minze und nehmen Dessert und Zigarette auf der Terasse. Wie schnell man sich doch Rituale erfindet.
- Peter Schneiders “Die Lieben meiner Mutter” ausgelesen. Für die aus ihren Briefen rekonstruierte Geschichte einer Tochter aus gutem Hause und nach Mesalliance Ehefrau und Mutter von vier Kindern mit wechselnden Liebhabern in den letzten Kriegsjahren gibt es im Bayerischen das ganz und gar treffende Wort “wuislert” (s. auch: http://www.bayrisches-woerterbuch.de/wuisler-der/). Habe das Buch der Hotelleihbücherei überlassen.
- Es ist viel einfacher, sich an Hitze zu gewöhnen (Schuhstrumpf aus, Hut auf, fertig), als an Kälte. Selbst das Gleißen weißer Schneefelder (igittigittigitt!) schmerzt die Augen mehr als endlose Sandflächen in der Wüste. Zefix!
- Nebenher immer mal eine Kurzgeschichte aus Julian Barnes Sammelband “Unbefugtes Betreten” vernascht. Die sind wie die Häppchen am Büffet, die auch immer wieder überraschend neu und besonders schmecken und die perfekte Urlaubslektüre für Langsamleser. Ich hab beim Lesen immer den Turbo an und bin heilfroh, dass ich noch mehr Prosa in Dünndruck mitführe.
- Im Royal Spa: Ich werde Mona zugewiesen, was so lange harmlos nach Fünfzigerjahreschlager klingt, bis sie das erste Mal Hand an mich legt. Nach zweimaliger Massage bin ich überzeugt, dass Mona das arabische Wort für Eisenkralle ist und selbst Bruce Lee im Kampf mit ihr keine Chancen hätte; um wieviel weniger ein Weichei wie ich erst? Die blauen Flecken gehen so langsam ins Gelbliche über, bis ich am Montag wieder arbeite, dürften die Spuren verblichen sein.
- Der Tourist Haßknecht ist mit dem Büffet aus heute vorwiegend orientalischen Speisen gar nicht zufrieden und erläutert dem Küchenpersonal ausführlich die Vorteile deutscher Hausmannskost. Wir nehmen uns noch ein paar Datteln, Hummus, Tahina, Gemüsepampf und andere Leckereien, dazu frische Fladenbrotgrissini und gehen ganz schnell weit weg von dem schimpfenden kleinen Mann mit dem roten Kopf.
- Ins Meer geht nur in Neopren, das macht aber nix, denn der große Pool ist beheizt. Nichts schöner, als in der prallen Mittagssonne, wie ein Seestern auf dem Wasser ausgespreizt, von den Wellen gewiegt dem eigenen Herzschlag zu lauschen.
- Für den letzten Tag und die Rückreise habe ich “A Handmaid’s Tale” zum Wiederlesen dabei. Während ich gerade in einer dystopischen frauenfeindlichen Zukunft ankomme, will der Neue vom Team Joy mit der jungen Frau drei Liegestühle weiter Ball spielen und kommt zu mir, um für meine Tochter um Erlaubnis zu bitten. Ich glaube, ich habe noch nicht oft jemanden solchermaßen fassungslos angestarrt.
Angesichts meiner Lektüre dann darauf bestanden, dass sie ihre eigenen Entscheidungen fällen und mit den Konsequenzen leben möge. (Bin stolz auf meine kurzzeitige Adoptivtochter: sie hat sichs auch für den Rest ihres Urlaubs mit Team Joy verscherzt.) - Spinn’ ich oder kriechen hier auf einmal wirklich Riesenschildkröten über den Strand? Weder, noch. Es werden nur die Sonnenschirme ausgetauscht und die Ärmsten der Arbeitssklaven bekommen diese Riesendinger übergestülpt und schleppen sie über den Strand. Inhaber des zweitblödesten Jobs ist der arme Mann, der eine schwere Rolle hinter sich herzieht, um den Strand nach den touristischen Kamel- und Pferdeausritten wieder zu glätten.
- Wie? Schon vorbei? Ganz vielen Dank meiner Mitreisenden, die sich von meinen Macken nicht hat stören lassen und mit der ich eine wunderbare Zeit verbracht und viel gelacht habe. Ich verspreche, dass ich jedes Mal, wenn ich Boney M oder Westernhagen oder Julio Iglesias höre, eine Gedenkminute einlegen werde. Das machen wir wieder, und das nächste Mal achten wir darauf, dass sie uns daheim nicht wieder mit einer extraekligen Kältewelle begrüßen.
better get ready to face a freezing cold wind 🙂
Da ja unser Alkoholkonsum durch die ägyptische Vielfalt sehr gering ausgefallen ist und sogar die nichtalkoholischen Cocktails ungenießbar waren mussten wir dann doch manchmal das Nachspeisenbuffet plündern
(Natürlich nur wenns richtige Feinheiten gab, und das war ziemlich oft)
Schee wars und erholsam !