Übersetzt wurde dieses antiquarische Fundstück zu einer Zeit, als Science Fiction noch in der Schmuddelecke bei den Schundheftchen angesiedelt und in lumpigen Taschenbuchausgaben des Heyne-Verlag für DM 2,80 mit reißerischen Covern allenfalls in gutsortierten Bahnhofsbuchhandlungen zu finden war. Damals, als es zum Frühstück in Amerika noch “Eier mit Pökelfleisch” und abends “Frikadelle mit Kartoffelchips” gab, das Kind einer weißen “Gammlerin” mit einem schwarzen “Black-Panther-Anhänger” ohne jede Bedenken selbstverständlich “Mischlingsmädchen” genannt wurde und die Außerirdischen vom anderen Stern “Fremdrassen-Invasoren”. Wann das war? BRD, frühe Siebziger Jahre.
Aber nun zum Buch. Le Guin stellt uns, wie meist in ihrem Werk, vor ein philosophisches Dilemma. Was wäre, wenn Träume wahr würden? Erstes, und vergleichsweise einfaches Beispiel, das sie ihrer Leserschaft gibt: bei einem halbwüchsigen Jungen und dessen Mutter ist in den beengten Wohnverhältnissen die sehr unangenehme Tante zu Besuch und geht und geht nicht weg. Bis der Knabe träumt, die Tante sei vor sechs Wochen bei einem Autounfall ums Leben gekommen und es am anderen Morgen so ist. Die Mutter noch in Trauer um die Schwester, die Schwester nie zu Besuch gewesen. Alle erinnern sich nur an die nun von ihm herbeigeträumte Realität, keiner an die vorherige.
Er schon. Das ist nicht normal, darf also so nicht sein, führt zu Drogen und folgerichtig dazu, dass der nunmehr erwachsene junge Mann von Staats wegen gezwungen wird, einen Therapeuten aufzusuchen, einen selbsternannten “Traumspezialisten”. Der erkennt ziemlich schnell, welches Potential ins wirkliche Leben übersetzbare Träume haben und Le Guin nimmt uns mit auf einen wilden Ritt, der mit der Verbesserung der persönlichen Lebensumstände anfängt und bei der Lösung der Probleme der Welt wie Krankheit, Armut, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Hunger, Rassismus, Krieg… nicht aufhört. Der Therapeut wird zur tragischen Figur, die stets das Gute will, dies aber nur mit bösen Mitteln schafft und dabei Macht und Macht und Macht anhäuft.
Gegen Ende zerfranst die Geschichte ein bißchen, aber die Autorin fängt die losen Fäden ein und schließt auf einer glaubhaft hoffnungsvollen Note.
Lesen! Lesen! Aber wenn’s geht, im Original. Die Übersetzung ist schon sehr aus der Zeit gefallen.
Nachtrag: Der Held heißt übrigens George Orr und lebt in einer Art Überwachungsstaat – ja, Frau Le Guin, ich denke, wir haben die Hommage verstanden.