Gelesen: “Fourteen Days: A Collaborative Novel” – Edited by Margaret Atwood and Douglas Preston

Den ersten Urlaubswunsch habe ich mir schon erfüllt: zwei Tage nur lesen, nicht sprechen, nicht sonstwie ablenken. Nur mal was mit viel Knoblauch kochen und essen.

Das reicht ziemlich genau, um sich durch diese dicke Zusammenarbeit der “Authors Guild” durchzulesen, einem Projekt aus den Covid-Anfangstagen, zu dem 36 Autorinnen und Autoren beitragen. Geschichten, die sich die Mieterinnen und Mieter eines abgeratzten Appartmenthauses in der New Yorker Lower East Side über einen Zeitraum von zwei Wochen jeden Abend auf dem Dach ihres Gebäudes erzählen, in der Stunde zwischen dem Beifall für die systemrelevanten Kräfte gegen sieben und dem Achtuhrläuten von Old St. Patrick, mit den vorgeschriebenen sechs Füßen Abstand und gegen den Lärm der Martinshörner.

“Ah,” höre ich meine gebildete Leserschaft schon sagen, “so wie seinerzeit Boccaccios Decamerone.” Hatte ich auch gedacht, der Zahn wird uns aber allen von einem sehr klugen Beitrag von Ishmael Reed gezogen, der den Literaturkanon so white als das entlarvt, was er ist – eine Sichtweise, die andere Kulturen kategorisch leugnet und ausschließt.

Die Geschichten sind unterschiedlichen Stils und Inhalts, aber zum Glück hat Preston, der für die Rahmenhandlung verantwortlich zeichnet, der jungen Chronistin (und Hausbesorgerin*) einen – plötzlich und unerwartet verschwunden – Vorgänger mit Archivarsdrang und viel Menschenkenntnis gegeben, so dass wir Leser das Gebäude und die Bewohnerinnen (pars pro toto: The Poet, Eurovision, Amnesia, La Cocinera, The Lady with the Rings, Blackbeard…) gemeinsam mit ihr kennenlernen. Alle haben sie interessante Leben geführt (ja, interessant, genau wie in dem chinesischen Fluch), alle erzählen sie früher oder später davon.

Es ist das Privileg der Leserin, also meins, von den Geschichten unterschiedlich angetan zu sein. Was mich aber verblüfft hat, war dann doch, wieviel ich aus den Anfangstagen der Pandemie schon sehr weit hinten auf den Verdrängungsbahnhof in meinem Gehirn geschoben hatte. Die Maskendebatte. Also Nutzen oder nicht und wenn doch, woher nehmen? Der ängstliche Blick auf die Inzidenzen. Die geradezu wahnsinnig anmutenden Todeszahlen und die Kühlwagen rund um die Krankenhäuser. Diese so unfaßbare Bedrohung, das Aus von Berührung und Kontakt. Die diffuse Angst dieser Tage webt Preston geschickt in die Rahmenhandlung ein. Und apropos Weben: Ms. Atwood greift mal wieder tief in die Mythologiekiste und steuert eine nette kleine sehr Atwood’sche Spinnengeschichte bei. Hach!

Die Auflösung des Ganzen? Nicht ganz unerwartet, nicht ganz zufriedenstellend. Das tut aber der Größe des Projekts und der Vereinigung so vieler verschiedener Stimmen keinen Abbruch. Lesen! (Die deutsche Übersetzung ist schon seit Mitte Februar zu haben.)

* In New York, wo man traditionell nicht mit den Nachbarn spricht (kein Wunder, dass man in dieser beengten Wohnsituation das Bedürfnis hat, sich abzugrenzen), ist der “Super” (kurz für “Building Super Intendent”) für alles zuständig. Nimmt Päckchen an, führt kleinere Reparaturen durch, gießt in den Ferien die Blumen usw. – und bessert seinen niedrigen Verdienst durch Trinkgelder auf. Natürlich hat er/sie auch einen Generalschlüssel und kann jede Wohnung jederzeit betreten, s. hierzu auch Großstadtgruselfilme.

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