Metropoltheater: “Slippery Slope – Almost Musical”

Das “Beinahe-Musical” von Yael Ronen und Shlomi Shaban nimmt sich der großen Aufreger-Themen unserer Zeit an: Kulturelle Aneignung, Me-Too, Alte Weiße Männer, Feminismus und sein Preis, Ausbeutung aller Art (finanziell, sexuell, künstlerisch, emotional…), Alles-für-Clicks bzw. die Auflage, Rassismus und und und…

Regisseur Philipp Moschitz setzt diese Themen auf einer sehr sparsamen aber wirkungsvollen Showbühne in Szene und spielt, singt und tanzt (Choreographie: Katja Wachter) in vielen wechselnden Rollen und ausgesprochen lustigen Kostümen (Cornelia Petz), was das Zeug hält und macht damit viel Freude.

Wir lernen vier Personen kennen: Gustav Gundesson (René Dumont), den alten weißen Mann, ehemals großer Star-Rocker, nach “dem Skandal” nun abgehalftert und zu einem halbherzigen Comeback in diesem Club-Ambiente gezwungen. Was gut geschrieben ist, wird hier zum rundherum enttäuschenden Auftritt. Dumont kommt nicht ins Timing, läßt seinem Text keine Zeit, die Figur kennenzulernen, haspelt sich durch und weckt die Befürchtung, man sei in einer ganz entsetzlichen Vorstellung gelandet, ohne die Möglichkeit, sich in der Pause (denn es gibt keine) dezent zu verdrücken. Dieser Gustav hat seinerzeit auf einem Festival die junge “ungeschliffene” Sky (Stephanie Marin) entdeckt und was ihm als kreative amour fou in Erinnerung geblieben ist (nach der er zur Gattin und den Kindern zurückkehrte), ist für sie im Rückblick neben der (Sprungbrett-)Beziehung zwischen einer knapp 18-Jährigen zu einem 50 Jahre alten Star vor allem, dass er sie nach der erfolgreichen Tournee, wohlgemerkt mit ihren Kompositionen, geghosted hatte. Offene Frage: Wer hat jetzt eigentlich wen ausgenutzt?

Marin spielt diese Erfahrung zunächst als Verletzung, aus der sie aber als TikTok-Star mit 90 Millionen Followern wie Phönix aus der Asche aufsteigt. Ganz besonders schön die Tanz-Duett-Nummer mit Moschitz und die Hip-Hop-Kostüme dazu. Hach! Bis ein anderer Shitstorm nun sie vom Thron stößt. Es stellt sich die Frage: Ist sie auf der Höhe ihres Erfolgs so anders als Gustav? Marins Figur ist in jeder Phase überzeugend und glaubhaft, außerdem kann sie singen und tanzen wie der Teufel. Ganz großes Theater!

Fürderhin treten auf die Zeitungsherausgeberin Klara, In Personalunion Gustavs Gattin (Judith Toth) und ihre Star-Reporterin Stanka Sto (Ina Meling) im froschgrünen Hosenanzug mit kurzen Hosen, bei der ich, man verzeihe mir, immer nur “Karla Kolumna” denken konnte. Auch diese beiden haben „Leichen im Keller, die vielleicht plötzlich frische Luft schnappen wollen“. Und das tun sie, die Leichen. Und wie! Auch diese beiden Schauspielerinnen sind sehr stark, egal, was die Rollen ihnen abfordern, eine helle Freude.

Dieses “Debatten-Musical” demonstriert sehr schön eine Reihe von Binsenweisheiten. a) Alles hat zwei Seiten. b) Es kommt immer auf den Standpunkt an. c) Recht und Unrecht liegen arg nah beieinander, sowie a) und b), d) Das Ende ist gut, wenn alles unter den Teppich gekehrt ist. Ob man das Spielen, Singen und Tanzen muss? Weiß ich nicht. Es ist der Brillanz der Schauspieler*innen zu verdanken, dass es ein unterhaltsamer Abend wurde, aus dem Denkanstöße mitgenommen werden konnten. Das nächste Mal würde ich diese Thematik lieber in einem Artikel verhandelt wissen und zu was anderem gesungen und getanzt bekommen. Liegt aber wahrscheinlich wieder an mir und meinem eher unglücklichen Verhältnis zu Musiktheater.

Die Gesangsbeiträge wurden auf Englisch vorgetragen, netterweise mit Untertiteln, wie hier auf dem Foto beim raffiniert-wunderschönen Appropriation-Song.

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