Gelesen: Daniel Kehlmann – „Lichtspiel“

Was für ein überaus schönes Buch! Triple-Hach!

Der Inhalt noch einmal in kurz für alle, die es geschafft haben, um die tausendundeine Rezensionen in allen Kulturmedien herumzulesen: G. W. Pabst, berühmter Spielfilmregisseur, gelingt es nicht, im anderssprachigen verhaltensverschiedenen dauersonnigen Hollywood Fuß zu fassen (herrlich und zum auf der Zunge zergehen lassen: die Poolparty bei Zinnemann). Er kehrt nach Österreich, nunmehr Ostmark zurück und läßt sich vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer, Herrn Doktor Joseph Goebbels vereinnahmen. Nur unpolitisch. Natürlich. Nur im Namen der Kunst. Natürlich. Selten eine schöne Unterwerfungsszene gelesen wie den Dialog der beiden, und ich denke, nicht nur mir ist als Idealbesetzung für die Rolle des Goebbels in seinem markthallengroßen Büro Christoph Waltz in den Sinn gekommen. Oder?

Überhaupt. Verfilmungsgeeigneter als diese Geschichte über einen Großen vom Film, der eigentlich nicht “zu denen” gehören will und dennoch leicht zu verführen ist. Man hofiert und ehrt ihn mit Auszeichnungen, ganz zu schweigen von nahezu grenzenlosen Budgets und dem Umstand, dass ihm das Regime alle Wünsche erfüllt: Technik, Studiobauten, Schauspieler oder noch in den letzten Kriegstagen Unmengen von Komparsen. Aus einem KZ, ja. Aber für die Kunst müssen moralische Skrupel schweigen. Pabst verliert für diese Kunst Frau und Sohn, das tut ihm auch leid, aber noch mehr trauert er um die Rollen seines letzten großen Werks, die auf der Flucht aus Prag gen Westen verloren gegangen sind.

Kehlmann baut das Buch raffiniert in drei Blöcken auf “Draußen”, “Drinnen” und “Danach”. Wobei sich das letzte Kapitel um die sogenannte Vergangenheitsbewältigung dreht, die in der Filmbranche genauso so armselig und unzureichend war wie in der Justiz und allen anderen Lebensbereichen. Kehlmann demonstriert das mit den Mitteln der Literatur und das macht er hervorragend. (Ich beziehe mich, pars pro toto, auf die “Levy-Szene”. Die, die das Buch schon gelesen haben, wissen, was ich meine. Die anderen mögen danach Ausschau halten und wissen es dann.)

Über das Buch hinweg nimmt er uns auch sprachlich mit auf eine Zeitreise, in eine Zeit, in der die Herren Schlafrock trugen, man zum Plafond blickte und in der Schänke trank. In eine Zeit, in der die herrschende Gesellschaftsschicht sich noch nicht ganz vom Gedankengut der k. u. k. Monarchie verabschiedet hat, was in Pabsts Fall zu einer “Parasite”-ähnlichen Situation führt. In eine verrohte Zeit, in der sich der Wertekanon ganz und gar verkehrt hatte und der der mitmacht, drin ist. Egal, welche Gründe er hat. Oder vorschiebt. Kehlmann läßt seinen Pabst zur tragischen Figur werden, in einen Strudel von Ereignissen gerissen, denen er sich nach eigenem Empfinden nicht entziehen kann und letztendlich Integrität, Werte, Familie auf dem Altar der reinen Kunst opfert. Ist einer, der Filme dreht, ein Täter? Andere Zeitgenossen haben sich anders entschieden. Kehlmann nennt einige, die emigrierten und sich woanders eine neue Karriere schafften, welche die scheiterten, sich umbrachten, gefangen und ermordet wurden, solche die blieben und sich in irgendeiner Form arrangierten. Er urteilt nicht.

Es gibt Kritiker, die ihm das vorwerfen. Aber, bitte, wer sind wir, denen die Gnade der späten Geburt zuteil wurde, uns zu erdreisten, über die davor zu richten?

Lesen! Nachdenken! Lesen! Lesen!

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