Vorrede: Ich hätte gerne von den Verantwortlichen des Fischer-Verlags gewußt, warum man den griffigen und leicht übersetzbaren englischen Titel des Buches (“The Ratline. Love, Lies and Justice on the Trail of a Nazi Fugitive”) zu einem derartigen Popanz aufblasen muss?
Vorrede 2: Danke für die Empfehlung an Frau S. aus H. Wobei, sie hatte mir ja eigentlich den Podcast ans Herz gelegt und wenn ich einmal sehr viel Zeit haben sollte (ab nächstes Jahr also), werde ich ganz sicher darauf zurückkommen. Es wird dich freuen zu hören, dass das Buch nun an unsere gemeinsame Freundin Frau R. weitergeht. So, wie es mit guten Büchern sein soll.
Nun aber.
Der Autor Philippe Sands, Anwalt und Professor für Internationales Recht, lernt bei den Recherchen zu seinem Buch über die Ermordung seiner aus Polen stammenden Familie (“Rückkehr nach Lemberg”) Horst Wächter kennen, Sohn Otto Wächters, zunächst Stellvertreter Hans Franks, dann Gouverneur von Krakau und Galizien. Hochgeschätzt im NS-Regime wegen seiner effektiven Maßnahmen zur “Endlösung der Judenfrage”. Nach dem Krieg als Massenmörder gesucht, durch Flucht entkommen und kurz vor seiner Ausreise nach Argentien über die “Rattenlinie” in einem römischen Krankenhaus verstorben. Die Sterbesakramente spendet ein vatikanischer Bischof.
Akribisch und geduldig rekonstruiert Sands die Geschichte Otto Wächters, überraschend offen unterstützt von Sohn Horst mit familiärem Archivmaterial. Horst will, selbst als unumstößliche Beweise für die Teilnahme des Vaters an Exekutionen verfügbar sind, an das Gute in seinem Vater glauben, an dessen Menschlichtkeit – daran, dass er als Mitglied (wohlgemerkt als oberster Chef) der Zivilverwaltung keine Schuld an den Maßnahmen der SS getragen habe (wiewohl selbst hochrangiger SS-Offizier). Ganz anderes als Niklas Frank, der mit seinem in Nürnberg zum Tode verurteilten und hingericheten Vater Hans Ende der Achtziger eine öffentliche “Abrechnung” austrägt.
Sands bleibt, was die individuelle Vergangenheitsbewältigung der Söhne angeht, neutral. Er berichtet von seiner Recherche, persönlichen Treffen, den Zeugnissen und Beweisen, die er mit der Unterstützung vieler aus allerlei Archiven und Quellen (fast 100 Seiten umfassen die Angaben allein dazu) zusammenträgt, die letztendlich keine Zweifel an der Schuld zulassen.
Nicht nur der Väter. Sondern auch, und gerade, der Mütter. Für mich war bei der Lektüre am erschreckendsten, dass Kurt Tucholskys Aussage “Eine Katze, die eine Maus tötet, ist grausam. Ein Wilder, der seinen Feind auffrißt, ist grausam. Aber das grausamste von allen Lebewesen ist eine patriotische Frau.” sich in der Figur von Horsts Mutter Charlotte solchermaßen manifestiert. (Peter Panter, Die Weltbühne, 26.04.1932, Nr. 17, S. 637).
Ich weiß noch nicht, wie der Podcast ist, aber die Lektüre des Buches kann ich nur empfehlen. Lesen! Lesen! Lesen!