Gelesen: Margaret Atwood – “The Blind Assassin”

So, die Ferien nähern sich dem Ende, die nächsten 600 Seiten sind verschlungen, und ich könnte noch eine Weile (mindestens zwei dicke mitgebrachte Bücher lang) so weitermachen. Kann ich aber nicht. Heute ist mein letzter Urlaubstag und morgen reise ich ab. Godvernommededom!

Nach den doch etwas betulichen Effingers hatte ich auf den ersten Seiten die Befürchtung, ich hätte zu einem weiteren Gesellschaftsroman aus der vorherigen Jahrhundertwende gegriffen. Wie konnte ich Ms. Atwood solchermaßen unterschätzen? Sie verflicht und verwebt mehrere Lagen von Geschichten unterschiedlichster Natur (Zeitungsartikel, Tagebuch, Familienlügen und -skandale, Pulp Fiction, Melodrama, Literaturtheorie, Klassiker, Klowandsprüche, Kleinstadttratsch, Rache & Abrechnung, alles und mehr) zu einem narrativen Teppich. Immer, wenn sie einen Erzählstrang verläßt, bin ich ihr fast gram, dass ich nicht sofort erfahre, wie es weitergeht. Dann aber lese ich mich im nächsten fest und finde mich in der gleichen Situation – sie ist schon eine Magierin. Und sie sieht tief in die Seelen der Menschen, die sie sich ausdenkt und übersetzt die Resultate in eine messerscharfe klare Sprache, gespickt mit bösartigem Humor. Wobei sie es ihrer Leserschaft nie leicht macht: ohne Selberdenken ist man bei Atwood verratzt, denn sie hat eine Höllenfreude daran, ihr Publikum in die Irre zu führen, falsche Schlüsse ziehen zu lassen, überraschende, wenn auch nicht unlogische Wendungen nicht hervorzuahnen. Hach!

Bei Atwood ist es immer so: Lesen zieht lesen nach. Hätte ich jetzt noch länger und viel mehr Zeit, dann würde ich mich mit ausführlichem Quellenstudium befassen und anschließend das Buch noch einmal gründlich und analytisch beackern. Unter besonderer Berücksichtigung der literaturwissenschaftlichen Aspekte. Und der feministischen. Und der historischen. Und der humanistischen. Und. Und. Und. Und anschließend würde ich den “Blind Assassin” mit mehr Wissen gerne noch einmal nur so zum Genuß lesen.

Wertes Nobelkommittee: Ihr seid spät dran. Es ist an der allerhöchsten Zeit für den Literaturnobelpreis, solange diese Frau noch am Leben ist. Bis dahin alle: Lesen! Lesen! Lesen! Lesen!

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