Nur heute in den LichtspielhĂ€usern der Nation, einmalig – patriotisch – inspirierend. Zu Ehren der MĂ€nner, die fĂŒr ihr Land, fĂŒr Freiheit und Demokratie ihr Leben geopfert haben. Und zu Ehren ihrer Söhne, die zwar vaterlos aufwachsen, dafĂŒr immerhin in dem  BewuĂtsein, dass sie Heldensöhne von HeldenvĂ€tern sind. Der Kinosaal in San Bruno ist geschmĂŒckt wie fĂŒr einen Parteitag der Republikaner, Sternenbanner und diese dreifarbigen Rosettenpuschel (keine Ahnung, wie die heiĂen). Studentinnen in rot-weiĂ-blauen Cheerleader-KostĂŒmen fĂŒhren die GĂ€ste zu ihren PlĂ€tzen. Hochdekorierte MilitĂ€rs in Ausgangsuniformen, Mitglieder patriotischer Komitees mit Badges und Ansteckern, Kriegerwitwen in Schwarz mit gelben “Support-our-Troups”-Schleifen am Revers, Halbwaisen aller Altersgruppen, Veteranen auf KrĂŒcken, in RollstĂŒhlen, mit Blindenhunden – es grenzt an ein Wunder, dass so kurzfristig noch eine Karte zu haben war. HĂŒbsche junge MĂ€nner in WĂŒstentarnuniformen mit keck schrĂ€g sitzenden KĂ©pis verkaufen Eiscreme und Popcorn. Die Stimmung ist wie beim StaatsbegrĂ€bnis, wenn Elton John “Candle in the Wind” vortrĂ€gt, so eine Art Schunkeln, aber adagio. Da! Drei junge Frauen, langhaarig, Mittelscheitel, erdfarbene WallegewĂ€nder, die mittlere mit Gitarre, treten vor den Vorhang. Alle stehen auf. HĂ€nde werden auf Herzen gelegt, wir singen gemeinsam die Hymne. ĂberwĂ€ltigend in der LautstĂ€rke bei den ersten Zeilen “O! say can you see by the dawn’s early light/ What so proudly we hailed at the twilight’s last gleaming…”, im Mittelteil sind die Damen vorne unplugged fast ganz alleine, von tief empfundenem “Lala” begleitet und wir schlieĂen die Reihen und die Hymne gemeinsam mit “And the star-spangled Banner in triumph shall wave/O’er the Land of the Free and the Home of the Brave.” Die Sangesschwestern (denn das sind sie und noch dazu Kriegswaisen) gehen unter frenetischem Applaus ab, der Vorhang öffnet sich, im Saal wird es dunkel, der Vorspann erscheint auf der Leinwand. http://www.youtube.com/watch?v=WcgeEW3y4g4
Soweit, so glaubhaft. Stimmt aber nicht, ich hatte schon als Kind eine blĂŒhende Phantasie. In Wahrheit belief sich die Anzahl der verkauften Karten auf eine einzige. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben mutterseelenallein in einem Kino mit 400 PlĂ€tzen. Da ist man sehr einsam. Worum es geht: ein gut gemeintes Projekt, nĂ€mlich die Söhne gefallener Soldaten in einer Art Selbsterfahrungsgruppe mit  BeschĂ€ftigungstherapie, sprich ein Sommercamp in den Rocky Mountains mit maskulinen FreizeitbetĂ€tigungen (Fischen, BogenschieĂen, Tomahawk-Werfen, Steilwandklettern, Kajakfahren), fern von zu Hause von ihrem Schmerz und Verlust abzulenken, sie einfach Kinder sein und toben zu lassen. Was habe ich gesehen: die Ideengeber und Umsetzer des Projekts (einen frĂŒheren Autorennfahrer, einen abgehalfterten Seriendarsteller, einen ehemaligen Wrestler, einen zopftragenden Gemeindepriester u. a.), die sich in kernigen Karohemden, Jeans, Basecaps und Boots auf HolzstĂ€mmen vor Bergkulisse um ein Lagerfeuer sitzend, ununterbrochen selbst auf die Schultern klopfen und sich besoffen reden, von Patriotismus, Ehre, Opfern, Vaterland, Freiheit und immer wieder Patriotismus. Einer ist CountrysĂ€nger, der unterlegt diese Sermone mit dem entsprechenden Liedgut. Ganz ganz schrecklich. Es geht aber noch schlimmer: sie haben sich einzelne Buben aus dem Camp in die Runde geladen, und fragen die dann wieder und wieder aus, wie denn der Vater zu Tode gekommen sei (im Panzer ertrunken, sich fĂŒr seine Einheit opfernd, durch Selbstmord), und ob der Knabe denn nicht stolz auf den Vater und dessen Opfer fĂŒrs Vaterland sei, und ob er ihn womöglich sehr vermisse, und ob er nicht hier im Camp eine groĂe neue Familie und tolle Mentoren (nĂ€mlich den hier anwesenden MĂ€nnertrupp) gefunden habe. Ohne Punkt und Komma, die Antworten gleich mitsprechend, da die Kinder ohnehin meist mit den TrĂ€nen kĂ€mpfen. Dabei werden sie geknufft, und auf Schultern geklopft – alles ganz extrem mĂ€nnlich. UnertrĂ€glich.
Ich bin nach einer Stunde gegangen. Da haben sie den Film dann fĂŒr eine leeres Kino zu Ende gespielt. Das ist ungefĂ€hr die Menge Publikum, die ihm gebĂŒhrt.
du bist mit deinem grad an masochismus wohl ziemlich einzigartig in San Bruno đ wer sollte sich den sowas antun? freiwillig? und auch noch dafĂŒr löhnen???