Sommer in der Stadt

Auf dem Weg zum Büro, noch lang hin bis zum ersten Kaffee, strahlt viel zu fröhlich für die frühe Stunde ein übermannsgroßer Gartenzwerg von einem Anhänger. Tschuldigung, Herr Gartenzwerg natürlich (https://www.herrgartenzwerg.de/). Ein Zeichen? Und wenn ja, wofür?

Frisch koffeiniert höre ich bei weit geöffnetem Fenster, wie auf dem Nebenhof im Industriegebiet einer mit dem Sandstrahler Sand strahlt. Dazu singt er. Ununterbrochen und immer nur die eine Zeile aus dem Refrain eines alten Schlagers. “Alles, alles geht vorbei”. Alles in allem für ungefähr zweieinhalb Stunden. Dann hat er Pause und ich hasse Drafi Deutscher.

Endlich zu Hause. Nach so langer Abwesenheit steht mal wieder ein Lebensmitteleinkauf an. Liste, Tasche, Maske, los. Es ist heiß und die dichte Mundnasenbedeckung erweist sich als sehr transpirationsfördernd. Meine Brille ist mit dem Ding sowieso dauerbeschlagen. Quasi Gesichtssauna. Voll ist es auch, irgendwer hat die Drängler rausgelassen und die Hälfte dessen, was ich brauche, ist nicht vorrätig. Das heißt Zwischenstop zu Hause und noch einmal mit trockener Zweitmaske zum Zweitsupermarkt. Inzwischen hasse ich alle und alles, ausnahmslos und mit Fug und Recht.

Endlich zu Hause (II) und aller weiteren Pflichten ledig. Ich sitze leicht behemdet mit nacktem Gesicht und einem freundlichen kühlen Getränk in lauer Luft auf dem Balkon. Vogelgezwitscher, vom Spielplatz her fröhliches Kindergeschrei und … was ist das? Ach wie hübsch. Keine Haus-, sondern Hofmusik. Drei Musiker spielen unten Weisen, ein kleines Publikum applaudiert von Wiese und Balkonen und ich ärgere mich einmal wieder, dass ich nicht genug von klassischer Musik verstehe, um die Stücke benennen zu können. Aber als sie dann nach Tochter Zion noch Vom Himmel hoch anstimmen, denk’ ich mir meinen Kästner* und bin mir der Welt und diesem Abend auf einmal sehr versöhnt. …

* In einem Gedicht, das ich jetzt gerade nicht finden kann, beschreibt Erich Kästner böse langweilige Menschen mit den Worten: “Und sie singen keine Weihnachtslieder, noch nicht mal mitten im August.”

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