Als ich an meinem Geburtstag explizit um keine Geschenke bat, scheine ich mich nicht klar genug ausgedrückt zu haben. Man hat mich nämlich mit so vielen so ausgesucht schönen Dingen beglückt, dass mir jetzt nur noch der Rückzug in mein Schwabentum bleibt: Danke, vielen Dank. Abbr des wär doch ned nödig gwä! Andererseits, hätten sich meine Herrschaften Freunde an mein Diktum gehalten, dann wäre mir gestern die herrliche Vorstellung von Nikolaus Habjan im Resi entgangen. Und dann wäre mir aber vielleicht was entgangen. Meine Herren!
Paulus Hochgatterer, österreichischer Psychiater und Schriftsteller eines Œuvre mit ungemein umfassender Bandbreite (Krimis*, Erzählungen, Essays, Aufsätze, Theaterstücke) zeichnet verantwortlich für den Text. Eine Auftragsarbeit für Graz und den Regisseur, Puppenspieler und einzigen menschlichen Schauspieler auf der Bühne, Nikolaus Habjan. Was für ein Text!
Hochgatterer weiß viel von Musik (will natürlich alles wissen, aber das ist eine andere Geschichte) und über den Jahrhundertdirigenten Karl Böhm. Er zeichnet ihn als begnadeten Musikinterpreten, Zyniker und Sadisten – und als glühenden Opportunisten. Einen, der jedem Regime nachgelaufen wäre, sich aber mit den nationalsozialistischen Faschisten ganz besonders leicht tat. Habjan setzt den Text in seiner Inszenierung kongenial um. Ich will es noch einmal betonen, weil die Art der Darstellung so einmalig ist. Er spielt Puppentheater. Der greise, von sich selbst soweit entfernte Böhm, dass er von “ihm” nur in der dritten Person spricht, ist eine lebensgroße Puppe. An den Rollstuhl gefesselt. In dieser “Realitätsebene” sind seine Dialogpartner Habjan selbst als eine Art Betreuer, Pfleger, Zivi. Aus Osteuropa. Mit Akzent. Und dessen kleine Schwester. Schon bei diesen dreien vergißt man ständig, dass zwei davon Puppen sind und von Habjan geführt und gesprochen werden. So unterschiedlich sind sie, in Stimmlage, Dialekt, Körpersprache, Ausdruck. Was für ein Schauspieler!
Eine weitere Ebene ist die biographische, in der Böhm (Puppen oder auch nur ein Puppenkopf) in verschiedenen Altersstufen und Lebenssituationen zu sehen ist. Bei Proben, auf denen er, offensichtlich mit Hochgenuß, Musiker quält und beschimpft. Man könnte diesen Sadismus aber ebenso als reines Streben nach Perfektion interpretieren – Habjan/Hochgatterer lösen die Widersprüche in der Figur nicht auf und das ist eine sehr große Leistung. Bei Konzerten, die er als Dirigent leitet und in denen er vom Publikum frenetisch bejubelt (Semperoper, 1934; Kunststück, da läßt er als Ouvertüre das Horst-Wessel-Lied spielen) oder gnadenlos ausgebuht wird (Wien, 1956). In Gesprächen und Selbstgesprächen, in denen er sich dem Regime hemmunglos andient und später, als er sich ebenso hemmungslos für sein damaliges Verhalten rechtfertigt, denn, immerhin, er sei niemals Parteimitglied geworden, sondern habe immer nur der Musik gedient. Die dritte Ebene spielt Habjan mit “Tischpuppen”, ca. einen Meter großen Diven (es sind Sänger und Sängerinnen, die Bezeichnung ist also mehr als gerechtfertigt), denen er eine ganz besonders ausdrucksvolle Körpersprache verleiht – zum Niederknien! Doch. Zum Niederknien.
Einen weiteren kongenialen Beitrag leistet der Bühnenbauer Julius Theodor Semmelmann. Während Böhm seine Orchester wegen falscher Tempi oder Lautstärken sekkiert, werden auf der Leinwand hinter der Bühne historische Filme eingeblendet. Der “Einmarsch” in Wien. Das Datum der Reichskristallnacht, das der Figur Böhm nur deswegen im Gedächtnis bleibt, weil im Nachbardorf ein Kamin einstürzt. Der Ungarnaufstand, mit dem man den Herrn Dirigenten nicht belästigen darf, weil 10 Jahre nach Kriegsende endlich auch seine Entnazifizierung abgeschlossen ist und er wieder zum Direktor der Wiener Staatsoper berufen worden. Ganz besonders schrecklich seine Reaktion auf einen Brief eines Kollegen, der sich Goebbels gegenüber ganz offen weigert, eine Stelle anzutreten, wenn dafür ein Jude von der Position vertrieben werde. Dazu Böhm: “Gor ned ignoriern” bzw. wörtlich “Wenn das Politische auf Sie zukommt, schauen Sie auf die Noten.” Kurz danach wird die Goebbels-Rede eingespielt, in der er zufrieden konstatiert, dass man der deutschen Kultur, entgegen der düsteren Vorhersagen, das Fehlen von Juden gar nicht anmerke.
Ja, ein hochpolitisches Stück. Aber auch Musikerziehung. Denkanstoß. Und Hoffnung, verkörpert durch ein kleines Mädchen, das dem Greis ganz selbstverständlich und freudig von seinem Schulprojekt über “das Andere” spricht, das halt genau das ist. Anders. Nicht gut. Nicht böse. Nicht schlecht. Anders.
Wir hatten ganz wunderbare Plätze in der ersten Reihe auf dem Balkon rechts außen (ja, Weltgeist, mir ist die Ironie auch nicht entgangen) und man sieht von dort sehr gut, was der eine Mensch und seine 11 Puppen auf der Bühne treiben. Wer hingehen will, bereite sich auf langanhaltenden Beifall am Ende der Vorstellung vor und ein tiefes Nachklingen. Zu einer Nachbesprechung mit der Begleitung bei Wein wird dringend geraten. Scheeee wars! Noch einmal vielen vielen Dank. Davon werde ich sehr lange zehren!
* Ich werde lesen und berichten.