Autor und Regisseur Andrew Harmer hatte sich diesen Film schon lange in den Kopf gesetzt, mit einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne das Geld gesammelt und ich freue mich sehr, dass er so viele Finanziers gefunden und die Gelegenheit bekommen hat, seine Ideen umzusetzen. Herausgekommen ist eine schwarze skurrile postapokalyptische so very British Komödie, einfach ganz und gar herrlich. So ein schöner Film!*
Anfang der Fünfziger Jahre. England liegt verheeret. Eine Giftgaswolke hat die Welt dahingerafft, nur wenige haben überlebt. Die Luft bleibt verseucht, ein Aufenthalt draußen ist nur noch mit Gasmaske** möglich. Und nicht ein allwissender Erzähler aus dem Off bringt uns mit sonorer Stimme auf diesen Wissensstand, sondern einer der wohl schönsten animierten Vorspänne der Filmgeschichte.
Ein kleines Häufchen Menschen hat Unterschlupf gefunden auf, nein, in der Fitzroy, einem aufgelassenen rostigen Uralt-U-Boot, das vor der Küste des Seebades Margate gestrandet ist. Diese lucky few sind ein Querschnitt der englischen Nachkriegsgesellschaft, man muß sich die einzelnen Typen wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Da ist das furchtbar schmuddelige Besitzerehepaar, Geizkrägen dickensianischer Dimension, mit englischen Gebissen aus den Zeiten vor der Einführung des National Health Service und der Maxime, dass alles machbar ist, solange der Kunde zahlt. Wenn der Hauswirt – immer persönlich, man kann ja keinem trauen, auch und vor allem nicht der eigenen Frau – die Miete eintreibt, kommt er mit einer kleinen Waage und läßt losen Tee (die neue Währung, hey, es sind Briten) in die Schale löffeln, ganz genau, bis zum letzten trockenen Blättchen. Wer so nicht (mehr) bezahlen kann, begleicht seine Schuld in Naturalien (zur Femme fatale des Filmes später mehr) oder fliegt raus und muß nun ihr ganz und gar tragisches Dasein als Wahnsinnige, mit Gasmaske und angekettet am Strand fristen.
Wo ich gerade dabei bin: Das Casting kann man gar nicht genug loben. Und die Ausstatter. Die Special Effects. Die Schauspieler. Was die aus dem vergleichsweise kleinen Budget gemacht haben: saa-gen-haft!
Zu den Dauergästen in der Fitzroy zählen: der längst dem Wahnsinn verfallene ehemals bessere Herr, langzottelhaarig und mit Megaphon, in das er, gleich nach dem Aufstehen (und er steht früh auf) seine tägliche und über den Tag häufig wiederholte Tageslosung “We are dooooooomed” plärrt. Und sonst? Der ehemalige Offizier der ehemaligen Kolonialtruppen mit Großwildjägerattitüden. Die reizende alte Dame mit dem Sittich (man denke Miss Marple, denn sie hat einen sehr feinen Biß, die Gute). Der irre Arzt, eine Dr. Hyde-Figur unter Verzicht auf den guten Dr. Jekyll, am besten beschrieben als eine Art Schwippcousin des Fleet Street Barbiers Sweeny Todd. Eine ganz wunderbare Femme fatale, von der sich Lady Macbeth gerne noch ein Scheibchen abschneiden würde, wenn sie denn könnte. Das Orchester, dicht gepackt in einer gemeinsamen Kabine im unteren Unterdeck, mit dem wohl tragischsten Beckenspieler, den man je gesehen hat. Und natürlich die eigentliche Hauptfigur: Bernard, der Page in der klassischen roten Uniform, der den Laden am Laufen hält. Mahlzeiten serviert, Lecks stopft (ein Meister mit Duct Tape), Klos entstopft, putzt, wäscht, macht, tut und, natürlich, keinen Dank bekommt. Er ist selbstverständlich auch zuständig für den Empfang der ersten neuen Gäste seit langem, dem frischvermählten Ehepaar Fisher auf dessen Hochzeitsreise. Es ist so herrlich absurd, wie sie in Zeiten der Apokalypse geradezu krampfhaft Normalität herbeispielen, ich habe Tränen gelacht.
Dann, oh weh, ist es soweit: Der Inspektor kommt. Es muß unheimlich Spaß gemacht haben, diesen furchtbar schmierigen Typen zu spielen, vor dem Mechtel und Techtel, Mord, marodes Schiff und anderes verborgen werden sollen. Wie das gründlich schiefgeht und was sonst noch alles passiert, möge sich bitte jeder und jede selbst und vor allem bald ansehen
Falls es aus dem Text nicht klar hervorgehen sollte:
Anschauen Anschauen! Anschauen! Anschauen! Hurtig, jetzt!
* Wer Wes Andersons Film mag, ist auf der Fitzroy*** schon mal nicht ganz verkehrt.
** Wenn die Protagonisten durch Gasmasken sprechen, ist das recht schwer verständlich. Das haben sie, mit viel viel mehr Budget, aber auch bei Batmans Bane nicht besser hingekriegt und ist hier verzeihlich.
*** Schon der Name ist schön doppeldeutig: “Fitzroy oder FitzRoy ist ein “künstlicher” Familienname, ursprünglich gedacht für die direkten unehelichen, aber quasi offiziell anerkannten Nachkommen eines Königs. “Fitz” ist ein anglo-normannisches Präfix für “Sohn von” (aus frz. fils de), während Roy die alte französische Schreibweise für König ist.” (Quelle: Wikipedia)