Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein

Man kennt das. Wer fern der Heimat lebt, hat nicht unbedingt Heimweh, schon mal allein deswegen nicht, weil weiter weg das Wetter meistens besser ist und die Winter erträglicher. Er lebt allerdings auch fern der heimatlichen Supermärkte und leidet deswegen unter entsetzlichen Entzugserscheinungen. Kurz vor Ankunft der Gäste reicht es gerade noch zu verzweifelt geröchelten Hilferufen wie “Bring Schokolade!”, in einem Atemzug mit “Und Haribo!” Und, weil der Andalusier offensichtlich mit seinem Obst sinnigeres anzufangen weiß: “Bring Früchtetee!”

Hmmm. Meine letzte Erinnerung an Früchtetee ist, dass es sich dabei um ein vorgeblich aus Hagebutten hergestelltes säuerlich-dünnes Rotgebräu handelt, welches aus großen Blechkannen lauwarm in Landschulheimen ausgeschenkt wird und dafür zuständig ist, Menschen in jungen Jahren zum ersten Mal mit dem Phänomen Sodbrennen bekannt zu machen.

Wieder hmmm. In dem Sektor hat sich scheints sehr viel getan. Hagebuttenbasiertes muß man in den mindestens zwei mehretagigen laufenden Regalmetern im Supermarkt suchen, jede andere Frucht, inlusive natürlich Gojibeeren, Flohsamen und anderen Superfoods ist seffaständlich vertreten. Wobei die Namensgebung der Tees nichts mehr mit dem verarbeiteten Obst, jedoch sehr viel mit sehr beliebigem Esogeschwurbel zu tun hat. Man nehme nur Leichtes Glück*, eine Diätbelohnungsmischung von der Redaktion der Zeitschrift Brigitte persönlich zusammengepflückt. Oder verzauberter Apfel (also nix für die Schneewittchens unter uns), launige Beere, Keylimepieoreosprinkles, Zimtschnecke, Apfelstrudel, Schoko-Kirsch Brownie, Strawberry-Cheesecake und Himbeertörtchen – ich muß das Memo verpaßt haben, nachdem Gebäck nicht mehr zum, sondern im Tee zu reichen ist. Wintertees, Sommertees, Befindlichkeitstees. Kuschel– (Diese angenehm-scharfe ayurvedische Gewürz- und Kräutermischung streichelt mit ihrer zarten Würze Zunge und Gaumen – und weckt den Kuschel), Kraft– und Laune-Ayurveda, Innerer Friede, Äußere Harmonie (oder war das umgekehrt?), Sei-gut-zu-dir, Nie-mehr-allein und irgendwas mit mit pummeligem Regenbogenschwanzeinhorn. Außerdem für den humanistisch gebildeten Teetrinker: Carpe Diem. Cave Canem hätt’ ich genommen, aber der war leider aus.

Mon Dieu. Und den ganzen Aufwand treiben die für ein bissele mit Heißwasser aufzubrühendes Trockenobst. Scheint ein sehr harter Markt zu sein.

 

* Wer gerne schwer glücklich wäre, sucht vergeblich. Glück scheint gasförmig zu sein und einen Schwebezustand hervorzurufen.

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