Es liegt in der Natur des Menschen, sich noch Unvertrautes durch Vergleiche fassbar zu machen. Darum erklärt die g’schtudierte Tante heute einmal den Aufführungszyklus eines Theaterstücks.
Premiere ist (Vergleiheich!) wie ein frisch geschneidertes Kleidungsstück zum ersten mal anläßlich eines wichtigen Anlasses auszuführen. Damit es auch ganz bestimmt ganz gscheit sitzt werden Nähte noch mal ganz schnell aufgetrennt oder irgendwas gerafft und provisorisch getackert oder sonstwie festgesteckt, vielleicht fehlen auch noch ein paar Straßsteinchen, weil die Straßsteinchenstickerin gerade indisponiert war und möglicherweise wurden die perfekten Schuhe oder der Hut oder sonst ein Accessoire zu spät oder noch gar nicht geliefert und man behilft sich mit irgendwas, das sich in der Hauptsache dadurch auszeichnet, dass es halt grad mal zur Hand ist. Zu den Gesetzmäßigkeiten einer Premiere zählt, dass irgendwann eine Sicherheitsnadel aufgeht.
Nach ein paar Vorstellungen ist der Dress dann quasi “eingewohnt”. Das eine oder andere Provisorium darf bleiben, weil es nämlich schön ist oder lustig oder überhaupt. Außerdem sind Schleiferl oder Rüscherl oder lustige Applikationen hinzugekommen (vergl. hierzu Kriemhilds Ausführungen zur Kreuzstichstickerei), die Frisur ist anders, als sie mal geplant war – kurz, man hat das Diktat des Modeschöpfers durch die Kunst des Tragbaren ersetzt.
Irgendwann ist es soweit und obwohl es ein wirklich schönes Klamott ist, wollen wir auch mal wieder was anderes anziehen und wir tragen es zum letzten Mal. Wenn die Robe eine gute ist, ist aber nichts fad geworden und nichts ausgeleiert oder verschlissen und dann kommt sie nicht in die Altkleidersammlung, sondern wird mit dem Begriff “Vintage” veredelt und zu besonderen Anlässen wieder aus dem Schrank genommen (s. a. “da capo”).
(Auf dem Theater ist die letzte übrigens traditionell die einzige Vorstellung, bei der die Regisseurin die Schauspielerinnen und Schauspieler nicht schimpft, wenn sie einander kleine Streiche spielen. Sehr beliebt ist zum Beispiel das Requisitenverstecken. Da kann’s dann schon einmal vorkommen, dass der Dolch fehlt und der röchelnde Recke am Boden als Todesursache angeben muß: “Mich dünkt, der Stiefel war vergiftet.”)
So auch Siegfried.
Weil mir irgendjemand die Schädlichkeit von 1 x Wälsungenblut pro Woche erst noch beweisen muß und gestern außerdem die Hamburger überraschend in der Stadt waren, war ich wieder in einer Vorstellung und kann mit Freude berichten, dass Siegfried jetzt, eine Woche nach der Premiere, in Stage 2 angekommen ist. Neuhinzugekommen (s. o.: “Schleiferl oder Rüscherl oder lustige Applikationen”) ist – unter anderem – mehr Musik für den Helden (tut ihm sehr gut) und ein Zwerg mit Baß (es ist lange nicht klar, wer von beiden gewinnt) und ich freu mich jetzt schon auf die vorletzte Vorstellung nächste Woche. Da gemma nämlich wieder hin. Falls wer mitmag, einfach Bescheid geben.