Kultursommer hinter Gittern – “Ein Sommerknasttraum” in Brixen

Volkshochschule Kleinhadern, Kurs “Die ganze Welt ist Bühne” (für Fortgeschrittene). Die Dozentin, noch nie besonders engagiert, heute noch dazu ganz besonders furchtbar lustlos, greift zur probaten Aufgabe für diese Befindlichkeit und weist ihre Klasse an: “Teilen Sie sich in Arbeitsgruppen auf und entwerfen Sie Ihre Vision vom besten Theaterstück aller Zeiten”, dann Abgang nach links zu ihrem Dozentinnentisch, auf den Stuhl sinken, Handy zücken und den Blick nicht mehr vom Display nehmen.

Die Klasse hält sich nicht lang mit Arbeitsgruppenaufteilung auf, sondern schreitet sofort zur Diskussion. “Eine Poesie muß es haben, das Stück”, postuliert der Herr mittleren Alters im beige-grauen Gewand und den Kreppsohlenschuhen in seinem ersten und letzten Beitrag für diesen Abend, “gell, Mama?”. Die solchermaßen angesprochene Matrone, die schon bei der Geburt angefangen hatte, sich dieses Buben zu schämen, schmettert ab. “Ah, was! Humbug! Damit du wieder was für dein Album hast. Gedichte, die sich reimen, gehören nicht auf die Bühne.” Ihre Gestik wird zunehmend raumgreifender, als sie, mit viel Drama und rollendem “R” in der Stimme vorträgt: “Große Stimmen brauchts, für die große Oper. Einen Wagner. Oder Puccini, Rossini. Natürlich Verdi. Von mir aus auch der kleine Österreicher. L’Opéra, das ist großes Theater [dräuender Blick in die leicht verschreckte Runde], sonst ist das doch nur Sprücherl aufsagen in Verkleidung. Das genügt mir nicht!”

Ihr mausiger Bub nickt zustimmend, so, wie er das seit seinem ersten Atemzug immer getan hat, in der Gruppe jedoch regt sich Widerspruch. Die Studentin der Theaterwissenschaften, letztes Semester noch groß im “Grand Guignol” und einem ganz kleinen Ausflug in die weite Welt des Sado-Maso, dieses Jahr im Agitprop und beim frühen Brecht angekommen: “Niemals. Theater hat eine Botschaft. Muß eine Botschaft haben. Gegen Unterdrückung, gegen die Obrigkeit, gegen den Klerus, gegen das eine Prozent. Das Private ist politisch! Oper, pah. Das ist Hofnarrentum, Singen für die da oben. Theater, das muß in den Ohren der Mächtigen klingen und die Schwachen erstarken. Theater muß weh tun!” Die Matronenmutter setzt zu einer wütenden Zurechtweisung an, allerdings verpufft ihr tiefer Atemzug zu einem nutzlosen Ammmppfff, weil sich jetzt der Lümmel aus der letzten Bank einbringt. Klamotten in Vintage-Hippie, schiefgetretene Cowboystiefel, Pferdeschwanz zur Glatze. “Theater ist doch sowieso tot. Das einzige, was zählt [schiefes Grinsen, in der (wahrscheinlich doch vergeblichen) Hoffnung, dass irgendwer in diesem Sauhaufen die Anspielung versteht], das einzige, was zählt ist MMW. Der hat in jedem Lied mehr Wahrheit als deine ganzen Opernhansel zusammen.”

Der pensionierte trachtenjankrig-haferlschuhige Heimatpfleger aus Weilheim versucht, die Wogen zu glätten und provoziert den nächsten Ammmppfff, weil er in aller Ruhe ausholt: “Theater. Das ist doch zunächst einmal Heimat.” [Jetzt bleibt allen vor Überraschung erst einmal die Luft weg. Wovon spricht der Mann?] “Heimat. Heimatverbundenheit. Die Scholle. Der Mensch da, wo er hingehört. Wo er spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Über das, was ihn umtreibt. Es ist ihm gleich, ob er von denen von weiter weg verstanden wird. Darum geht es nicht. Seine Leute wissen schon, was er meint. Eine größere Welt braucht er nicht.” Jetzt setzen sie aber alle zur Gegenrede an: “Opérrrr- mppfff” – “MMW forev…” – “Geh doch weg mit deinem Inzestantenstadl, du Heiminsreichwürstchen…” – “Aber, aber, meine Herrschaften, kein Grund ausfällig zu werden, ich spreche hier nur von der Sprache, vom Dialekt als Bindeglied zwischen…”, da klingt aus der Ecke hinten die tiefbeleidigte Stimme des alten Herren, den sie wieder am Ende seines Kurses “Der Elefant in der Renaissance” nicht aufgeweckt hatten. “Gut” spricht er, “wirklich gut ist Kunst nur, wenn eine Tuba zugegen ist.”

Die verblüffte Stille, die nach dieser Bemerkung entsteht, nützt der beige-graue Sohn, der sich eifrig Notizen gemacht hatte: “Mama, und Sie alle auch. Aufhören mit der Streiterei: das Stück gibt es, mit Gesang & Tanz, Verdi & Westernhagen, Lokal- und Weltpolitk, Klerus-Bashing, großartigen Schauspielern und einem bunten Misch-Masch aus Sprachen und Dialekten. Und ja, mit Tuba: Geht’s einfach in den Tschumpus zu Brixen und schaut es euch an.”

https://www.tschumpus.com/ein-sommerknasttraum

Schee wars und hat viel Spaß gemacht, auch wenn mein Begleiter wieder das Erste-Reihen-Glück hatte und heftig angespielt wurde. Ich preise mich ja schon sehr glücklich, AutorInnen und eine recht eine gute Regisseurin zu meinen Freunden zu zählen. Vielleicht hätte ich seinerzeit das Studium der Theaterwissenschaften auch abbrechen sollen…

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