Drauß’ vom Walde

Schwer gebeugt schnauft der Kollege aus dem Lager im mein Büro und verkündet: “Frau F., ich habe einen Sack aus der Schweiz für Sie” und ganz knapp bevor meine Innere Alice die Chance hat, sich zu einer Anti-Macho-Schimpftirade aufzuschwingen, läßt er ihn fallen, den Sack aus dickem unkaputtbaren Knisterkunststoff in Augenschmerzgrün.

Naja gut, äh… Häh? Ich stehe dazu, ich halte den Online-Welthandel mit häufigen Bestellungen in Schwung und ich erinnere mich, gerade bei längeren Lieferzeiten, nicht immer gleich an jeden Kauf – aber wenn ich einen Baum bestellt hätte oder Leichenteile oder sowas, das wüßte ich. Was hat man mir da geschickt? Weil Curiosity nicht nur ein Mars-Rover und Katzentöter, sondern auch mein Mittelname ist, greife ich beherzt zur Schere und fange an, Kabelbinder und Plomben aufzusäbeln. Einen, zwei, drei, für den besonders widerborstigen vierten brauche ich ernsthaft eine Zange und schon ist er offen, der fast fraushohe Sack aus dickem unkaputtbaren Knisterkunststoff in Augenschmerzgrün und enthält – Tuschschmetterta-daah einen Pappkarton, ca. schuhkartongroß (Größe 47). Ich habe keinen großen Pappkarton bestellt. Nie im Leben! Hmmm. Und ganz bestimmt keinen, der mit einer Auswahl verschiedenster Klebestreifen in allen Farben und Stärken zum Hochsicherheitstraktkarton geadelt wurde. Was ist das bloß?

Ticken tut das Päckchen nicht. Das ist doch schon mal gut, oder? Luftlöcher scheint es vor diesen Klebeexzessen auch nicht gehabt zu haben. Das? Das ist auf jeden Fall gut. Jetzt will ich es wirklich wissen, also auf sie mit… nein, Gebrüll ist nicht obligatorisch. Teppichmesser muß reichen. Ich ritsche, ich ratsche, ritsche mehr, ratsche noch ein wenig und lege eine Lage Packpapier frei. Seit ich seinerzeit beim Auspacken meines Hausstandes herausfinden mußte, dass die amerikanischen Packmen das Gewicht der Fracht um mindestens ein Drittel gesteigert hatten, nur mit lagenweise und noch mehr Packpapier, möchte ich jetzt lösen: der Karton kommt aus Amerika. Richtig?

Richtig. Und wie richtig! Aus den vielen Lagen berge ich ein Taschenbuch. Das Buch, dessentwegen sich ein Freund aus Kalifornien Anfang Februar ein wenig enttäuscht erkundigt hatte, ob mir sein Ende November auf den Postweg gebrachtes Weihnachtsgeschenk vielleicht nicht gefallen habe und wegen dessen Nichtzustellung wir beide sehr sauer auf die Schlamper von USPS waren. Seitdem hat er einen Nachforschungsauftrag laufen. Schade, dass das Büchlein nicht selbst erzählen kann, wer aller es aus welchen Gründen immer mal durchgeblättert und dann an irgendwen anderen weitergeschickt hat… Der Karton scheint in Alabama gestartet zu sein und war mindestens in Wisconsin und Illinois, der Sack trägt unter anderem Aufkleber aus Zürich, Augsburg und dann final destination Gräfelfing.

Ich kann nur vermuten, dass irgendwer Anna Wierzbickas Buch mit dem Titel “Imprisoned in English: The Hazards of English as a Default Language” für potentiell subversive Lektüre gehalten und Entwarnung gegeben hat, als er herausfand, dass es nur um Linguistik geht.

Glaubt mir, Christen: Die Wege der Post sind viel viel unergründlicher als alles, was ihr zu bieten habt.

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