Noch in der Mediathek: “Sturm kommt auf”

Regisseur Matti Geschonneck hat nach der “Wannseekonferenz” schon wieder ein ganz großes ganz wahrhaftiges Werk geliefert.

Es geht vordergründig um den Aufstieg des Faschismus, irgendwo auf dem Land, in Bayern. Hintergründig geht es um Gegensätze. Politisch, natürlich, im Gesellschaftsstand, in der Bildung, der Religion. Und im Geschlecht. Vor allem im Geschlecht. Gleich zu Beginn werden Frauen gezeigt, beim Bankerlsingen, abends nach getaner harter Arbeit, in vollkommener Harmonie, eng gedrängt, jung und alt, Bäurin und Magd, mit und ohne Kinder, egal. Eine gleichberechtigte Gemeinschaft. Wobei, “gleichberechtigt” ist falsch. “Gleichwertig” auch, um Bewertung geht es nicht. Eher so: eine jede ist dabei in der Harmonie, ohne Ansinnen ihrer Situation im Außen. Das wird wichtig, denn dort, im Außen, tragen die Frauen den Schmerz und das Leid.

Basierend auf der Vorlage von Oskar Maria Grafs “Unruhe um einen Friedfertigen”, seinem ersten Exilroman, erschienen 1947 (Drehbuch: Hannah Holliger) erzählt die zweiteilige Verfilmung die Geschichte vom Schuster Kraus (kongenial besetzt mit Josef Hader), einem Mann, der irgendwann mal von irgendwoher (es wird sich später herausstellen, dass er als einziger aus seiner Familie ein Progrom in Lemberg überlebt hat) ins Dorf gekommen ist, und dort ein ruhiges zurückgezogenes wortkarges Leben lebt. Die (zweite) Frau ist ihm gestorben, der einzige Sohn nach “Übersee” ausgewandert. Einzig zur Nachbarin Elies Heingeiger (Verena Altenberger, eindrücklich, wie sie mit sparsamster Mimik ganze Geschichten erzählt), ihrem kleinen Sohn und ihrem Vater, dem Bauern Heingeiger (Sigi Zimmerschied, wird mit zunehmendem Alter immer noch besser) pflegt er eine Art von Beziehung.

Dieses Idyll wird zerstört, als der Heingeiger-Sohn Sylvan (beklemmend glaubhaft Frederic Linkemann) aus dem Krieg zurückkommt und nicht verstehen will, dass er jetzt niemand mehr ist, er, der in der Etappe feist gewordene Leutnant und der darum recht schnell Gleichgesinnte um sich schart, in seinem Freikorps. Ganz ganz kurz blitzt die Räterepublik auf, der “Rote” Ludwig Allberger (Sebastian Bezzel, hallo Ballett!) unternimmt den Versuch, in einer entzückend unbeholfenen Rede die Bauernschaft zu “mobilisieren”. Das geht bekanntermaßen nicht gut aus, die “Korpsler” jagen, foltern und töten die meisten “Aufwiegler” und treten jetzt zunehmend breitbeiniger auf. Im Dorf geht das Leben weiter, der Wirt Johann Stelzinger (zum Niederknien: Helmfried von Lüttichau) hätte gern das Beste aus den “Neuen Zeiten”, ohne sich aber zu deutlich zu einer Seite bekennen zu müssen. Also die Art Deutscher, auf deren Entnazifizierungsurkunde später “Mitläufer” stehen wird. Er wird bis zum Schluss nicht verstehen, was er an seiner Frau (Susi Stach) hat, die ihn ständig vor sich selbst bewahrt. Weil wir auf dem Land sind, darf auch die Gier nach Grund und dem Hof nicht fehlen – Sylvan sorgt auf grausame Art dafür, dass seine Schwester ihm beim zukünftigen Erbe nicht mehr im Weg ist.

Und immer singen die Frauen. Weniger Frauen als vorher. Auf dem Bankerl, in der Kirche, auf Begräbnissen, sogar zu einer Taufe. Zu großen stillen Landschaftsbildern tropfen einzelne Zithertöne. Das ist so beklemmend wie schön. Die Berge sind ewig und sie werden weiter sein, egal, was den Menschlein dort unten passiert.

Im zweiten Teil tragen die ehemaligen Freikorpsler nun alle braune SA-Uniformen mit Hakenkreuzbinden, grüßen mit erhobenem Arm und zackigem “Heil Hitler” und terrorisieren alle, die nicht ihrer Meinung sind. Allen voran den Schuster, von dem man nun weiß, dass er Jude ist. Und zu Geld gekommen. Das hätten sie alle gerne. Die “Hitleristen” genau wie die Kirche, in Person des herrlich salbungsvoll-schleimigen Priors (Matthias Bundschuh). Nein, Graf hat die Pfaffen wirklich nicht leiden können. Der alte Heingeiger weiß sich gegen seinen bösen Sohn nur noch mit einem letzten sehr symbolträchtigen Mittel zu helfen und muss das zum Glück nicht überleben, genausowenig wie der Schuster. Die letzten Tode in Film und Buch sind eine Gnade des Autors und auch, dass er, lederbehost nach New York entkommen, auf einer hoffnungsvollen Note endet. Nur die Frauen, die verlieren. Ihr Leben, ihre “Ehre”, ihre Männer, ihre Söhne, ihre Existenz, in einer Gesellschaft, in der sie nur als “Frau von” etwas gelten. Das konnte auch Graf nicht schön schreiben und Geschonneck zeigt es. Gnadenlos.

“Sturm kommt auf” gibt den Öffentlich/Rechtlichen eine Existenzberechtigung. Sogar ihren Zwangsgebühren. Weil der Film so gut ist. Sich Zeit läßt. Bis in die letzte Nebenrolle gut besetzt – es ist eine Kunst in der heutigen Zeit solche “alten” Gesichter zu finden. Mit Kenntnis und Sorgfalt ausgestattet und kostümiert, allen Beteiligten hierfür eine Verbeugung.

Ich habe beide Teile auf einen Sitz gesehen, man kann aber auch eine Pause dazwischen lassen, ohne dass sie an Qualität verlieren.

Nun aber. Anschauen! Anschauen! Anschauen! Anschauen!

(Wer hier öfter liest, weiß, dass ich mich selten einmal zu vier Anschauen! hinreißen lasse. Wenn, dann lohnt es sich. Sehr.)


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