Kunsthalle München: “VIKTOR&ROLF – Fashion Statements”

Juhu! Wir haben es geschafft, Karten für die quasi sofort ausverkaufte Drag-Führung am Samstagnachmittag zu bekommen. Das wird bestimmt interessant.

Es ist auf jeden Fall schon jetzt interessant für das Personal der Kunsthalle, denen immer keiner was sagt. Weder, wo der Treffpunkt für die Führung ist, noch, ob Audioguides gebraucht werden. Wir haben uns strategisch geschickt zwischen Kopfhörerausgabetischchen und Ausstellungseingang plaziert, uns wird auf keinen Fall entgehen, wenn ein Drag King Einzug hält. Da ist Glamour, das erkennt man sofort.

Deswegen reagiere ich auch nicht gleich, als eine dralle kleine Person mit teils aufgemalter, teils aufgeklebter Gesichtsbehaarung, dottergelben Flatterhosen mit ausgeschnittenen Polko-Dot-Löchern und im Farbton gerade nicht dazu passenden gelben Crocs, die ich eher beim Casting für eine (sehr kleine “Volk”-) Nebenrolle im “König der Löwen” verortet hätte, um kurz nach 14:00 Uhr die Treppe heraufgehastet kommt. Es ist aber, tadaah!, der Drag King Perry Stroika (https://perrystroika.com/), der nun flugs dafür sorgt, dass alle Anwesenden ein Headset bekommen und dann sein Grüppchen in die “Zauberwelt” der nicht etwa nur Modedesigner, sondern vielmehr “Fashion ArtistsSiegfried und Royentführt“. Da, es ist mir schon wieder passiert, dabei gibts hier keinen Tiger, nirgends und die heißen in richtig “Viktor&Rolf”. Mensch.

Außer der einen, sehr wahrscheinlich nicht lebenswichtigen Information, dass in einem Kleiderdesign oben ein Poloshirt versteckt ist, lerne ich vom King nichts, das ich nicht auch in meinem Tempo den schriftlichen Informationen an den Exponaten hätte entnehmen können. Außer natürlich, was in welchem Raum seine Lieblingsstücke sind und welches bei welchen der vielen Länder-Drag Races wie oft kopiert wurde. Darüber hinaus sind seine Referenzgrößen Social Media und Klickzahlen und mit sowas verklebe ich mir meine Synapsen nicht. Da schreibe ich doch lieber Stilblüten mit, wie seine sehr gelungene Aufzählung von Kunstgattungen, nämlich “Malerei, Skulptur und van Gogh“.

Nein, natürlich habe ich nicht nur zu meckern, mal abgesehen von meinem schon viele Male geäußerten Wunsch, alle Menschen mit selbstreinigenden, temperaturadaptierenden, automatisch mitwachsenden und -schrumpfenden Kleidungsstücken auszustatten, damit dieses ganze Modegedöns irgendwann erledigt ist. Utopie, ich weiß, vor allem in einer Zeit von Ultra-Fast-Fashion.

Vieles in der Ausstellung ist nämlich zweckfrei schön. Eine “weiße Kollektion”, bei der die Models auf dem Laufsteg funkgesteuert werden mussten, weil sie nichts sehen konnten – dafür hätte der alte Picasso seine Freude daran gehabt. Überhaupt, viel Heroin-Chic bei den menschlichen Kleiderstangen (“Wenn du schön brav bist, bekommst du Ende der Woche wieder einen in Orangensaft getränkten Wattebausch.”), aber das würde jetzt zu weit führen.

Hingegen lustig: ein großer verspiegelter Ballsaal, mit lauter sich drehender vieltülllagiger Ballkleider an Kleiderpuppen, “zu einem guten Grad mit Straß besetzt“, die mit Botschaften versehen sind – eine jede davon Meme-tauglich.

Eine Matrjoschka-Schau, bei der ein Model sukzessive in alle Stücke der Kollektion gekleidet wurde, bis sie 70 Kilo Mode am Körper trug. Das “Archiv”, das heißt, das Gesamtwerk an Puppen (sehr creepy Puppen). Weil die Künstler “in finanziell notdürftigen Zeiten” manchmal gezwungen waren, die Originale zu verkaufen und dann nichts mehr für sich selbst gehabt hätten. Kapitalismusgeschult wie ich bin, frage ich mich, ob der Verkauf nicht Sinn und Zweck der Herstellung von Ware ist, aber was weiß ich schon von Volkswirtschaft?

Alles unterlegt mit Textbeiträgen des King, bei dem ich mehr als einmal das Gefühl hatte, dass ihn außer der grundsätzlichen Begeisterung für Camp (den Modestil, https://de.wikipedia.org/wiki/Camp_(Kunst)), im Vorwissen nichts wesentlich von den von ihm Geführten unterschied. Mein ganz besonderer Liebling war die Warnung: “Achtung, der Teppich löst Alarm aus“. Dazu muss man wissen, dass die Herren Viktor&Rolf ganz besonders schmeichelhafte Zeitungsartikel auf textile Wandbehänge drucken lassen, um sie in ihrem Atelier aufzuhängen und der Aufpasser im Raum jeden, der eintritt, vor zu großer Wandteppichnähe warnt. Anyway.

Interessant, das alles. Wobei ich zu bedenken gebe, dass der Begriff “interessant” im Zusammengang mit Kulturveranstaltungen gerne zum Einsatz kommt, wenn man niemanden mit seiner Meinung kränken möchte.

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