Heimreise

Am Freitagmorgen beginnen die Temperaturen zu klettern, die Sonne strahlt, als wäre sie nie weggewesen, die paar Restpfützchen können gar nicht schnell genug verdampfen. Es will scheinen, dass das Wünschen manchmal doch hilft. Selber schuld, dass ich nicht dran gedacht habe, auch freie Fahrt vorzubestellen. Nächstes Mal dann.

Aber erst mal ist es schön: ich rolle vor mich hin, am mariengewandblauen Himmel übt sich ein Maler in Wolken. Alle in weiß, da reicht seine Phantasie wohl nicht sehr weit, aber sonst? Holla! Eine sehr schöne Auswahl an Schleier-, Schäfchen-, Feder-, Flaum-, noch mehr und viele andere. Doch, sehr gelungen. Er spielt sich mit Arrangements, Einzelwolken oder Paare, oft ganze Schulen. Doch, doch, ich bin sicher, Wolken sind wie Fische und treten in Schulen auf. Bäume und Büsche am Straßenrand sind schon voll im Training. Irgendwann wird er kommen, der Herbst. Morgen oder in drei Tagen, ganz bestimmt aber übernächste Woche und da wollen sie in Bestform sein und ihre Farben können. Aktuell sind nur leichte Ahnungen sichtbar, bis auf den einen oder anderen zugewanderten Angeber, der schon mal vorauseilend rot glüht.

Die ersten Vogelschwärme üben sich in Formationsflügen. Sie werden auch dieses Jahr nach Süden reisen, Corona hin oder her. Ist ja keine Vogelgrippe, dieses Mal nicht. Man möchte sie sich auch gar nicht mit Nasen-Schnabel-Schutz vorstellen müssen. Hach! Süden. Einfach wegfliegen… Oh Mann, wenn ich doch ein Vöglein wär… Bin ich aber nicht.


Ich stehe im Stau und werde ständig angeblinkt, dass ich eine Rettungsgasse… bzw. dass ich gefälligst als Risikogebietrückkehrerin in Quarantäne*… und schon wieder geht es eine Wagenlänge weiter. Während ich so stoppe und goe komme ich drauf, warum ich trotzdem schön tranquillo bleibe. Ich nehme die Situation hin. Andere nehmen sie persönlich. Die kriegen dafür Magengeschwüre. Ja, Sie Hintermirhuper, danke für den Hinweis, dass jetzt ganze drei Wagenlängen auf einen Streich vor mir frei sind. Man wird doch noch mal so vor sich Hindenkeln dürfen, ey? Hat wahrscheinlich Bauchweh, der arme Mann.

Dieser Stau ist zu Ende, wir fahren alle wieder. Vorbei an Stoppelfeldern, die mich ins Sinnieren bringen, wie sehr ich diese Jahreszeit im Dürrekalifornien vermisse. Dieses Braungraudörrgelb, teils durchzogen von kontrastierendem Brandwundenschwarz in einem gerade zu irrsinnig strahlenden Licht… Baustelle. Wir stehen wieder. Für die nächsten 20 Minuten ist meine einzige Lektüre die Aufschrift auf dem Laster vor mir “Ob nah ob fern mit Johannsmann fährt auch ihr Pferd gern”. Nehme mir vor, für die nächste Fahrt einen roten Edding einzupacken, um die Rechtschreibung auf im Stau vor mir stehenden Fahrzeugen verbesseren zu können. Zeit genug wäre gewesen. Wie ich im Vorbeifahren sehe, spricht das Unternehmen auf der Heckseite noch von “Pferdetransporten”, auf der Breitseite sind daraus schon “Pferdereisen” geworden. Spintisiere mir den Reisebüroprospekt zusammen. “Abenteuerurlaub in der Camargue, Seite an Seite mit den wilden Brüdern durch die Gischt”, “Auch du bist ein Tänzer – Bildungsurlaub in der Hofreitschule in Wien”… ah, wir stehen wieder. Im nächsten Stau darf ich über “Rolladen, Raffstoren, Textilschatten” und Pluralbildung im Allgemeinen und im Besonderen nachdenken und darüber, was ein “Textilschatten” sein könnte und ob sich der Begriff wohl als Schimpfwort eignet: “Du hast ja wohl einen Textilschatten, ey!”

Fahren. Stehen. Fahren. Stehen. Aus den geplanten fünf sind fast sieben Stunden geworden. Dominique Horwitz hat mir seine Version der Dreigroschenoper zwei Mal vorgetragen, dann war ich wieder im Empfangsbereich von Bayern 2 und 5 und irgendwann zu Hause. Öfter muss ich solche Ochsentouren nicht haben, habe mich aber gefreut, dass ichs alleine gepackt habe. Ist ja gut zu wissen, dass mans kann, wenn mans mal braucht.

* Wenn ich jetzt behaupten würde, der Hunsrück sei ein Risikogebiet, wäre mir wahrscheinlich die ganze Region beleidigt. Ich habe mich diese Woche eh schon in die Nesseln gesetzt, als ich im Meeting Unverständnis darüber äußerte, dass ein Kollege nicht gerne ins Ausland reisen will, weil ihm dort bis zu zwei Wochen Quarantäne im Hotelzimmer drohen. Ich glaube nicht, dass ich damit Umstände hätte, bei voller Bezahlung auszuschlafen und einen Stapel Bücher in Ruhe weglesen zu dürfen. Nicht, wenn das Zimmer einen Sonnen-Balkon hätte, der Room-Service mir regelmäßig zu essen und zu trinken brächte, und für die lesefreien Zeiten ein Internetzugang vorhanden wäre. Die haben mich angeguckt, als käme ich von einem anderen Planeten.

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