Gestern Nachmittag hatte ich zweieinhalb Stunden zwischen Terminen. Zu kurz, um noch einmal nach Hause zu fahren, zu lang, noch dazu in dieser Kälte, um sie irgendwo draußen zu vertrödeln, und zu wenig von meinem aktuellen Buch übrig (dazu später mehr), um sie einfach im Kaffeehaus zu verlesen. Lust auf Shopping in überheizter Kaufhausrecycleluft? Hatte ich nie viel, habe ich seit der Erfindung des Onlinehandels gar nicht mehr. Hmmm. Kino? Kino.
Der Film hatte just im Moment angefangen und saugt einen sofort in eine sehr fremde Welt ein, in der Elend und Hunger allgegenwärtig sind, Erwachsene schon längst resigniert und Kinder alte Augen haben. Jeder will einfach nur leben. Was mehrheitlich erst einmal überleben bedeutet. Noch nicht einmal die Schurken sind wirklich böse Menschen. Sie fristen halt ihre Existenz in Ermangelung anderer Möglichkeiten auf Kosten derer, die in der Nahrungskette noch weiter unten stehen.
Ist Capernaum misery exploitation? Ja. Vielleicht. Ein bißchen. So wie seinerzeit “Slumdog Millionaire” auf seine Weise auch. Trotzdem. Nadine Labaki findet sehr beeindruckende (und manchmal sehr bedrückende) Bilder, läßt sich und ihren Protagonisten Zeit und holt damit, gerade aus den Kinderdarstellern, ganz großes heraus. Einzig die deutsche Synchronisation habe ich als irritierend empfunden und glaube, dass Original mit Untertiteln die bessere Variante gewesen wäre.
Meinen Oscar für den besten ausländischen Film sollen sie haben (das sage ich, ohne einen der anderen Wettbewerbsfilme zu kennen). Allemal lieber wahrhaftiges Elend als v. Donnersmarcksche Testosteronbäder.
Anschauen! Anschauen! Anschauen!