Fernsehen auf Amazon Prime: “Life in Pieces”

Amazon hatte lange genug gequengelt, sie hätten da was, was ich unbedingt sehen soll. Mei, warum nicht? So ganz falsch liegen sie nicht, denn das Konzept an sich ist witzig: Jede Folge besteht aus vier lose zusammenhängenden Fünfminutensequenzen aus dem Leben der Familie Short. So ganz richtig liegen sie aber auch nicht, denn sonst hätten sie doch ein Lachband eingespielt, damit der Zuschauer weiß, jetzt ist lustig. Aber gut, soweit sind wir hier noch gar nicht.

Wer diese Shorts sind? Eine Mehrgenerationenfamilie, die alle dicht aufeinander in Südkalifornien in der Greater Los Angeles Area leben. Oma und Opa Short: Therapeutin mit gutgehender Praxis (Kunststück, sie behandelt alle eigenen und alle angeheirateten Kinder) sowie Pilot im Ruhestand, jetzt Dude. Ihre Tochter ist Hausfrau und Mutter, mit einem Arzt verheiratet (Klischeehe!) und drei Kindern gesegnet. Wobei das erste gezeugt wurde, weil sie hartnäckig an dem Aberglauben festhielt, dass man beim ersten Mal nicht schwanger wird. Tja. Aufklärungsunterricht (SexEd) in den USA hängt von sehr vielen Faktoren wie Schulsprengel, Finanzierung des Lerninstituts, Religion der Lehrer, Eltern, Besitzer der umliegenden Gemüseläden sowie der Mondphase ab. Das kann man sich weiß Gott nicht noch mit Biologie befassen.

Außerdem gibt es zwei Söhne. Der eine macht Irgendwas mit Internet und hat eine erfolgreiche Frau “an Land gezogen”*. Eine Anwältin, die mehr verdient als er. Schon allein deswegen eine echte Bitch. (“Schatz, ich hatte heute einen tollen Tag im Büro – ich habe einen anderen Anwalt zum Weinen gebracht.”) Sohn Nr. 2 ist Künstler, also arm und erfolglos, hat bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich (sic!) und es in der zweiten zu einer wuchtigen, extrem dominanten, lauten, emotional eher unstabilen Latina gebracht. Wenn die von ihrer Familie daheim in Mexiko erzählt, klingt sowas kriminelles durch, aber das hat seine Richtigkeit. “Must be”, wie die ganzen liberalen Kalifornier immer sagten, wenn sie einen rassistischen Kommentar unterzubringen hatten, “a cultural thing”.

Die dritte Generation umfaßt die drei Kinder des Ehepaares Hausfrau/Doktor; ihren Ältesten, ein langer rothaariger Schlacks, gerade mit der Schule fertig. Wird dennoch von der männlichen Verwandtschaft geschätzt / beneidet, denn er hat seiner Lolita, blond und dumm wie Brot, was aber durch prominent ausgestellte Großbrüstigkeit sowie Schmollmund wettgemacht wird, gleich einen besitzanzeigenden Ehering an den Finger gesteckt. Das gildet als Leistung, ins trinkfähige Alter kommt er dann in drei Jahren schon von allein. Dazu zwei Schwestern, beide mager, blond und hübsch. Die ältere pubertierend (das ist für soviele Gags gut, dass es schon wehtut), die jüngere manipulativ und altklug, aber (noch) so süß.

Darüber hinaus das erste Töchterchen des Paares Anwältin/Internet, dessen Geburt à la American TV-Show (erste schlimme Wehe, Fruchtblase platzt, Pfütze, dann brüllen alle “push push push” und wuppdich ist ein hübsch eingewickeltes, knitterfreies, recht großes, lachendes Kindlein da) dem Zuschauer nicht erspart bleibt und die damit endet, dass die irre lustige Szene aus dem Trailer vorkommt, in der die Ärztin den Gatten davor warnt, vor Ablauf der nächsten sechs Wochen “da unten” hinzusehen.

Die Latina und ihr Loser kriegen das mit dem Nachwuchs nicht hin und brauchen eine Fruchtbarkeitsbehandlung, was den Autoren ein weites Feld für “Eeew” und “Speeew” öffnet. Wer kann wem wohin eine Spritze geben, ohne dass das eeew ist? Wie ungeheuer viele lustige Loser-Szenen kann man über ein Plastikdöschen voller Sperma schreiben? Wie kommt das da rein? Eeew. Speeew. Wie dann in die Klinik? Wer verwechselt welche Papiertüte mit der, in die der Spender seine Gabe diskret verpackt hatte? Und was geschieht, wenn man das Beutelchen auf die volle Kanne anne Sitzheizung stellt? Und immer noch kein Lachband. Eeew. Speeew.

Keine der Folgen, die ich gesehen habe, kommt ohne Pipi-Kaka-Furz-Witze aus. Keiner davon ist komisch. Mag an der Zielgruppe liegen, Fans der “Hangover”-Reihe sind wahrscheinlich begeistert. Aber vielleicht mögen die ja auch, dass die Männer wieder alle nur Deppen sind, die alles falsch machen und dem Himmel ständig danken, dass diese großartige Frau an ihrer Seite sie gewählt hat und auch weiterhin behalten wird, wenn sie schön brav sind und Schmuck kaufen und den Hochzeitstag nicht vergessen. Die Frauen verhalten sich konstant nur einmal blöd: das ist, wenn er vor ihr auf die Knie geht und ihre Gunst mit einem an einen Metallreifen gepappten Stück gepressten Kohlenstoff erkaufen will. “Echt?”, fassen sie sich fassungslos and die Brust. “Ehecht? Duhu willst mihich heiraten?” Nach dem Ja-Wort übernehmen sie das Regime und packen das Hochzeitsalbum aus, in dem sie spätestens ab ihrem sechsten Lebensjahr ihre Traumhochzeit konzipiert haben. Whaaa?

Disclaimer: Ich habe mir nur Stichproben angesehen. Vielleicht sind alle Folgen, die ich nicht kenne, genuin komisch und unamerikanisch und… ach was, whom am I kidding? Natürlich nicht. Die sind alle so wie die Folge, nach der ich aufgehört habe. Die geht so: Vater Doktor und Sohn Schlacks verbringen miteinander Quality Time. Im Einkaufszentrum, wo sonst? Mutter Hausfrau ruft an: sie habe den BH der Teenager-Tochter ruiniert (hahaha, hihihi) und Vater Doktor müsse Ersatz beschaffen. Natürlich weigert er sich, natürlich stimmt sie ihn um (weiß nimmer, ob sie ihm Sex verspricht oder damit droht, dass er auf der Couch schlafen muß, ist auch wurscht), natürlich stehen Vater und Sohn dann bei Victoria’s Secret (hey, nothing wrong with product placement) und blamieren sich ganz fürchterlich und wenn es ein Lachband gegeben hätte, hätten sie nach der Folge ein neues gebraucht. Mir wars mehr so zum Heulen.

Nun habe ich mich richtig dran abgearbeitet, “Life in Pieces” NICHT zu empfehlen und warne eindringlich: Um diese drei vielfolgige Staffeln lange Serie zu bingen, muß man Amerikaner sein, am besten in der dritten oder vierten Generation. Jeder andere verirrt sich in diesem all-american Komikkiller-Dschungel. Dieses verdammte Schiff! Ja, ich weiß, ich wiederhole mich. Aber wenn ich so ein puritanisches Geschwurbel ertragen muß (alle reden ständig über Sex. Alle haben voll Sex, selbstverständlich nur mit dem jeweils rechtmäßig angetrauten Gespons, fürchterlichem Getue und seltsamerweise nie nackich), dann wünsche ich der Mayflower noch nachträglich jedes verfügbare Seeungeheuer von Plymouth bis Cape Cod an den Mast. Mergitur**, du Drecksboot!

 

* Allein über die Idiomatik bei der Partnersuche kann man ganze Bände schreiben. Fürs erste soll es reichen, dass sehr viel aus Jagd, Fischerei und Baseball entlehnt ist. Weiterhin sei hier auf den Balzbericht aus “Grease” referenziert: https://bit.ly/1sn1sI3

** Danke für mein uraltes BaWü-Abitur.

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