Inzwischen bin ich schon wieder lange genug zurĂŒck in Deutschland, um mir meine eigenen kleinen Traditionen entwickelt zu haben und eine, die ich sehr mag, ist mein persönlicher Theatersommer Ende Juli in Brixen und Braunau. Brixen war am Dienstag, Braunau nun am Freitag.
Kurz zum Inhalt des StĂŒcks: Karl Bockerer ist ein Wiener Fleischhauer, mag seinen Beruf, seine Frau Binerl und seinen Buben Hansi, den wöchentlichen Tarockabend mit seinen Freunden Hatzinger und Dr. Rosenblatt und den Wein. Und so hĂ€tte er friedlich bis ans Ende seiner Tage gelebt, wenn der Gröfaz nicht gegen den erbitterten Widerstand fĂ€hnchenschwingender Ăsterreicher die Ostmark angeschlossen hĂ€tte. Der FĂŒhrer verhetzt ihm Frau und Sohn, vertreibt und erschlĂ€gt ihm die Freunde, bringt sein einziges Kind um und zerbombt sein Wien.
Die Braunauer Inszenierung folgt vor allem im ersten Teil sehr texttreu dem 1981er Film von Franz Antel mit Karl Meerkatz in der Titelrolle, was sich, wie im Film, a bisserl zieht. Das sieht man der Inszenierung von Robert Ortner aber gerne nach, denn er lĂ€Ăt ein ErzĂ€hlerpaar (Nadine Konietzny und Guido Drell) den zeitlichen Kontext mit Musik setzen und so steht gleich am Anfang die Lilli Marleen an der Laterne vor der Kaserne. Ortner dĂŒrfte ungefĂ€hr mit demselben Liedgut sozialisiert worden sein wie ich, hat einen Degenhardt drin (“Wölfe mitten im Mai”), jiddische Lieder, StĂŒcke aus dem Brecht’schen Fundus und er schafft es, das ganze Elend des RuĂlandkrieges mit “Sag mir, wo die Blumen sind” zu erzĂ€hlen. Aber ich greife vor. Das kommt erst nach der Pause.
Jetzt schauen wir uns erst einmal an, wie der Bockerer den AnschluĂ erlebt – denn eigentlich ist das StĂŒck ein SchelmenstĂŒck. Der Karl Bockerer hat SchmĂ€h (KunststĂŒck, er is a echta Weana) und eine zutiefst humanistische Einstellung, das verstehen die Nazis aber nicht, und halten ihn drum fĂŒr einen harmlosen Trottel. Boris Schumm (der “Jedermann” vom letzten Jahr) kriegt diesen Balanceakt zwischen NaivitĂ€t und Hinterfotzigkeit ausgesprochen gut hin, man fĂŒhlt mit seiner Figur und möchte sie eigentlich vor sich selbst schĂŒtzen – besser geht nicht. Aber die Braunauer haben auch immer ein Saudusel mit ihren BĂŒrgermeistergattinnen – Sabine Bockerer, ist, gespielt von Gabriele Pointner, glaubhaft in ihrem Bestreben, in dieser neuen Zeit endlich einmal dazuzugehören, wer zu sein, mitzulaufen; auch auf das Risiko hin, dass der Haussegen in eine Schieflage gerĂ€t. Bub Hansi Bockerer (Helmut Stonig) ist weiter als die Mama. Er war schon vorher bei den “Illegalen” und ist jetzt hundertfĂŒnfzigprozentiger SA-Mann. Die stĂ€rksten Szenen spielen sich zwischen ihm und dem SS-Mann Ferdinand Gstettner ab; wie die (homo-)erotische Spannung in nackte Gewalt mĂŒndet, als Gstettner den Hansi erpreĂt, ist in diesen Momenten fast mit den HĂ€nden zu greifen. Den Gstettner spielt eine Frau, Svenja Auer. Man kennt den hohen Frauenanteil und die daraus folgende Besetzung von MĂ€nnerrollen mit Frauen hĂ€ufig als Manko im Laientheater. In diesem Fall ist es eine groĂe StĂ€rke. Eine ganz groĂe.
Der zweite Teil beschreibt den Fall des tausendjĂ€hrigen Reiches, Stalingrad (siehe oben), Bombenkrieg, ViermĂ€chtestatus und das neue Leben der Bockerers nach dem Endsieg. Der SchluĂ der Autoren Ulrich Becher und Peter Preses ist versöhnlich. Der Bockerer bekommt im Fieberwahn die Chance, mit Hitler (einem aus der Irrenanstalt entkommenen ehemaligen Parteigenossen) abzurechnen und mit seinen Freunden, dem ausgebombten Pensionisten Hatzinger (Hans Peter Luibl) sowie Winston Royce, Mitglied der allierten StreitkrĂ€fte und ehemals Dr. Rosenblatt (Gerhard Kasinger), die erste Nachkriegspartie Tarock zu spielen. âIhr Blatt, Herr Rosenblatt!â
Zwei Schauspieler möchte ich noch erwĂ€hnen, weil sie mir gar so gut gefallen haben: den Hans Dzugan – aufmerksame Leser/innen mit einem eidetischen GedĂ€chtnis werden sich erinnern, dass er beim “Jedermann” den Tod spielte und mich schon letztes Jahr von den Socken gerissen hat. Dieses Mal ist er in einer Doppelrolle zu sehen: als Rayonsinspektor, der sein Leben lang dem Herren dient, der gerade an der Macht ist und Herrn Blau, einen Juden. Beide gehen einem sehr ans Herz. Die andere ist Dita Sommerauer. Beim Bockerer spielt sie die Freundin Hansis, eine relativ kleine Rolle. Das macht sie aber so gut, dass ich gerne mehr von ihr sehen wĂŒrde. NĂ€chstes Jahr, vielleicht?
Dann war noch Blutmond, stilecht ĂŒber der Kirche, anschlieĂend laue Sommernacht mit Alkohol. Wie sich’s g’hört.