Aus der Schule geplaudert

Mich hat schon immer brennend interessiert, wie der Deutsch-fĂŒr-AuslĂ€nder-Sprachkurs meiner Kollegin ablĂ€uft und weil fragen ja oft hilft, durfte ich gestern teilnehmen.

Ganz schön anspruchsvoll! Huiuiui! Die Hausaufgabe hatte darin bestanden, aus einem etwas ĂŒber eine halbe Din-A-4-Seite langen Text die wichtigsten Unterschiede zwischen autoritĂ€rer und antiautoritĂ€rer Erziehung zu destillieren und nun im Unterricht eine der beiden Positionen in einer Debatte zu vertreten. Die Gruppe besteht fast ausschließlich aus osteuropĂ€ischen Frauen, und das mag der Grund dafĂŒr sein, dass der Lehrer große Schwierigkeiten hatte, jemanden zu finden, die auch nur ein gutes Wort fĂŒr AntiautoritĂ€t ĂŒbrig hatte. Noch nicht mal im Spaß, in einem Rollenspiel.

Ich glaube, ich saß in diesem Klassenzimmer wie Daniel DĂŒsentrieb, dem ein GlĂŒhlĂ€mpchen nach dem anderen aufgeht. Theroretisch wars klar, aber mitzuerleben, wie bei bei dieser Art des Erwachsenenunterrichts nicht nur Sprachbarrieren, sondern extreme Unterschiede in Sozialisation und damit gelehrter und gelernter Geschichte, Wertesystemen, Religions- und PolitikverstĂ€ndnis aufeinanderprallen, war dann doch noch einmal etwas ganz anderes.

Die Lektion des Abends bestand aus einer Kurzbiographie Siegfried Lenz’. Erste Aufgabe: Die wichtigsten Daten auf einen Zeitstrahl zu ĂŒbertragen. Zu den bis dato unbekannten Vokabeln zĂ€hlten unter anderem “Kriegsgefangenschaft”, “Gruppe 47, ein Literatenzirkel”, “Friedenspreis des Deutschen Buchhandels” und – klar – “So zĂ€rtlich war Suleyken”. Ein jeder Begriff eine Option, eine Meinung dazu zu haben und das in einem Umfeld, in dem der Unterrichtende permanent dem Risiko ausgesetzt ist, dass seine MeinungsĂ€ußerung zur Verallgemeinerung dessen fĂŒhrt, was und wie “die Deutschen” denken. Das ist eine stehende Einladung zum Machtmißbrauch und es steht zu befĂŒrchten, dass der, bewußt oder unbewußt, stĂ€ndig passiert. Allein die gestern gefallenen BeispielsĂ€tze bergen mindestens Konfliktpotential, aber eigentlich Sprengstoff: “Mein Opa ist in russischer Kriegsgefangenschaft gestorben”, “In der Gruppe 47 organisierten sich linke Publizisten”, “Suleyken liegt in den ehemaligen deutschen Ostgebieten” – das hĂ€tte ich ganz sicher anders erklĂ€rt und jemand mit einer anderen politischen Einstellung nochmal unterschiedlich.

Wir haben hinterher noch lange darĂŒber gesprochen und meine Kollegin hat mir versichert, dass sie alle denkende Menschen seien, und dergleichen durchaus im Kontext einordnen können. Glaube ich auch, die Gruppe bestand ausschließlich aus Akademikerinnen. Aber was ist mit anderen, weniger gebildeten Menschen? Wer ĂŒberwacht, wer steuert, was sie zusĂ€tzlich zur Sprache vermittelt bekommen?

Diesen blogpost beende ich mit offenen Fragen, sollte wer Antworten haben: her damit!

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