Jeeederrrmann!

Wer von Deutschland nach Österreich reist, der muß am Aenus auf dem Huchen vorbei, der auf der deutschen Seite seit ungefähr fünf Jahren die Brücke ziert (und ich habe dieses Wort nach langer Überlegung gewählt, weil ich niemanden beleidigen will). Den bisher spannendsten Augenblick seiner Statuenexistenz mag der Aenus (dem die österreichischen Nachbarn das “E” nicht so recht gönnen mögen) gehabt haben, als ihm letzten Sommer der entfesselte Simbach entgegenkam, sonst ist über dieses grundhäßliche Ding auf seinem Sockel aus Granitquadern nicht viel zu sagen, außer, dass man auf dem Weg ins Theater recht bald an ihm vorbei ist.

Ja, und dann ist man auch schon in Braunau angekommen, der Geburtsstadt vieler. Die orts- und heimatkundige Frau W. hatte schon im Laufe des Nachmittags in ihrer Einführungsveranstaltung (“es wird später abgefragt”) eine kleine Auswahl lokaler Absurdititäten präsentiert, wie zum Beispiel das Palmdenkmal im Palmpark. Errichtet für Herrn Palm, einen Nürnberger Buchhändler und Napoleongegner, den man aus seiner Heimat in einen Braunauer Kerker verbrachte, um ihn schließlich dort hinzurichten. Oder das Eisenroß, das nicht etwa an die stolze Braunauer Roßmarkttradition erinnern soll, sondern an die letzte Mähre, die man dorten angesichts einer Hungersnot schlachtete. Mein Lieblingsexponat ist der Zweimeterbart eines ehemaligen Bürgermeisters, über den er, im eiligen Begriff, bei einem frühmorgendlichen Brand die Löscharbeiten zu koordinieren, zu Tode gestolpert sein soll. Merke: nicht mit gelöstem Barte schlafen! Leider nur das Epitaph gesehen, das Bezirksmuseum, dem die Erben per Legat den Originalbart vermacht hatten, war leider schon zu. Herrlich, das alles, und immer grad so knapp daneben.

Dann wars aber auch schon höchste Zeit für den Jedermann. Gespielt wurde die Version des Tirolers Felix Mitterer (ja, das ist der mit der Piefke-Saga), auf dem Kirchplatz zwischen Stephans- und Martinskirche, unter dem der ehemalige Friedhof liegt (es ist eben eine sehr österreichische Location). Frau W. hatte uns tolle Plätze in der ersten Reihe besorgt, mit dem besten Blick auf den Aufzug, einen sehr hübschen Regieeinfall und wunderbar in die Fassade der Stephanskirche integriert.

Mitterers Jedermann ist ein Industrieller, der Herr Generaldirektor eines Waffenkonzerns, geht in Anzug und Krawatte über Leichen, lebt das richtig gute Leben mit Schampus und Zigarren. Außerdem Gattin, Kinder (mißraten, was sonst?) und natürlich Geliebte (in Personalunion im feuerroten Kleid und High Heels zuständig fürs Sekretariat). Um ihn kreisen weniger erfolgreiche Unternehmer (die ruiniert er), Gewerkschafter (die korrumpiert er), Politiker* (entweder ersteres oder zweiteres, je nach Gusto), Banker (dito), Kleriker (dito) und Frauen (dito, alle. Außer Mutti.). Diesem Universum gegenüber steht die himmlische Dreieinigkeit, Gottvater (ein gediegener älterer Herr, der seine Schöpfung nicht in Ruhe lassen kann; man stelle ihn sich vor wie diesen Tucholsky’schen Pedanten – https://de.wikisource.org/wiki/Nachher_(Tucholsky)), der Heilige Geist, eine petzlieselige ältere Dame und Jesus, eine aufmüpfige Anfangsdreißigerin, der die Menschen viel näher sind als dieses ätherische Gedudel da oben. Denen macht der Teufel seine Aufwartung und wettet mit dem Alten um die Seele des Faus… ah, sorry, Jedermann. Dann fährt er zügig mit dem Aufzug (s. Einleitung des blogposts) in die Chefetage und dient sich dem Jedermann als Trouble-Shooter an.

Es kommt, wie es immer kommt bei der Geschichte vom Leben und Sterben des reichen Mannes, er reitet sich immer tiefer in den Abgrund, die Frau bringt sich um, das Kind sitzt wg. Drogen im Knast von Caracas, der Teufel hat eine rechte Freud am bösen Spiel, und es geht immer weiter und weiter und weiter: er kauft den Gewerkschafter, haut den Banker übers Ohr, erpreßt die Kanzlerin, verstößt die Geliebte – nur einer bleibt ihm und uns. Auf immer. Das alte Bürofaktotum.

Nach der Pause feiert Jedermann Geburtstag, nach und nach verlassen alle die Party und aus heiterem Himmel trifft ihn ein Gesinnungswandel. Er entsagt dem Mammon, gibt Vermögen und Fabrik dem, den er am Anfang ruiniert hat, allein, es ist zu spät – der alte Bürodiener zückt die Sense und holt ihn doch. Der Heilige Geist is not amused, dass das Verdikt am Ende auf Fegefeuer lautet, er hätte Hölle besser gefunden. Der Teufel auch.

Auf Erden gehts weiter wie gehabt. Der neue Generaldirektor ist eine Kapitalistensau und hält sich Jedermanns Ex-Geliebte (in Personalunion im feuerroten Kleid und High Heels zuständig fürs Sekretariat).

Im Braunauer Bauhoftheater stehen Profis und Laien gleichermaßen auf der Bühne und sind einander durchaus ebenbürtig. Meine Favoriten in dieser Inszenierung waren der Mephisto (Kunststück!) Ollier Vilzmann und Gevatter Tod, Hans Dzugan. Sie spielens noch ein paar Mal. Falls wer Zeit und Lust hat.

 

* In der Braunauer Inszenierung ist Jedermanns Guter Gesell eine Kanzlerin und wird von Annette Springer gespielt. Die ist im wirklichen Leben Politikers**gattin ist und merkelt schöner als das Original. Eine solchene Idealbesetzung sieht man nicht oft.

** Hierbei handelt es sich um das austriakische Genitiv-S, das doch ab und an sehr unerwartet auftaucht.

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